: Black–out in Hessisch–Liechtenstein
■ Darmstädter Prozeß zu Abschreibungsmißbrauch kam endlich in Gang / Ehemaliger Finanzamtsleiter hat Steuerungs–Probleme
Darmstadt (dpa) - Der Prozeß um ungerechtfertigte Steuersparmodelle vor dem Landgericht Darmstadt ist am Montag wegen Gedächtnislücken und Konzentrationsstörungen des Angeklagten Reinhold Hock nur schleppend in Gang gekommen. Die Anklage wirft dem 57jährigen Reinhold Hock vor, als früherer Leiter des Finanzamtes im Landkreis Offenbach zwischen 1974 und 1976 in vier Fällen von Untreue Steuersparmodelle für Abschreibungsmodelle ohne jeden wirtschaftlichen Hintergrund genehmigt zu haben. Damit sind nach Rechnung der Staatsanwaltschaft dem Fiskus mindestens 127 Millionen Mark entgangen. Der mehrere hundert Seiten langen Anklageschrift von 1984 zufolge hat der Ex–Finanzamtsleiter pflichtwidrig die steuerlichen Konzeptionen für drei Ölbohrin seln mit den klangvollen Namen Polaris, Regulus und Sirius anerkannt sowie Projekte für eine Ranch in Kalifornien, eine Computer–Gesellschaft und eine Herstellerfirma für billige Weltraumraketen genehmigt. Zweck der Gesellschaften sei es gewesen, Verluste zu erwirtschaften und den Anlegern günstige Steuerbescheide zu ermöglichen. Laut Anklageschrift hat ein mitangeklagter Steuerberater den 1977 vorzeitig pensionierten Regierungsdirektor angestiftet. Seinem Amt hatte Hock mit seiner Genehmigungspraxis bereits in Finanzkreisen den Ruf einer „Steueroase Hessisch–Liechtenstein“ eingebracht. Seit 1975 durfte er wegen Gerüchten um seine Großzügigkeit auf Anweisung der Oberfinanzdirektion Frankfurt keine Verlustzuweisungen ohne Rücksprache mehr unterschreiben. Hock erklärte am ersten der geplanten 13 Verhandlungstage, er habe vor seinen ersten Genehmigungen für Abschreibungsgesellschaften Zustimmung bei führenden hessischen Politikern für die Projekte gefunden. Erst später sei das „politisch nicht mehr erwünscht“ gewesen. Die Verlustgesellschaften seien die „größte Erfindung des Jahrhunderts“. Die Verteidigungsstrategie orientierte sich an höchsten Vorbildern. Hock unterbrach seine Aussagen ständig, suchte nach Worten und erklärte mehrfach, er könne nicht folgen und verstehe den Sinn der Fragen nicht.
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