Lächeln für das Land der Gänsefüßchen

■ Historischer Moment in Bonn: Honeckers Staatsbesuch in der Bundesrepublik / Scheinbare Normalität des Besuchsprotokolls / Kampf der Journalisten um Karten für die Pressetribünen vor dem Bundeskanzleramt

Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Selbst auf die Bild–Zeitung ist an diesem Tag kein Verlaß mehr - ein bißchen „Schandmal“–Hetze wäre doch wenigstens von diesem Blatt zu erwarten gewesen. Aber nein: „Honecker trägt eine Rolex– Uhr“ und: „Vorlieben und Abneigungen teilt er mit deutschen Politikern im Westen: Er mag keine Opern, keine Intellektuellen und angelt am liebsten allein...“ Der Mann muß ja sympathisch sein. Unbehelligt weht morgens um acht Uhr bereits die „Spalterflagge“ der DDR über der Straße am Bundeskanzleramt, bewacht von einem Häuflein West–Vopos. Die Junge Union, die einen Protestballon steigen lassen will mit dem Passus aus der heute nicht mehr gesungenen DDR–Hymne „Einig Vaterland“ bemalt, darf das Ding nur ganz kurz und versteckt mal hochlassen. Kohl und Honecker bekamen davon allerdings nichts mit, denn der Ballon blieb in den Ästen eines Baumes hängen. Der Staatsbesuch aus dem Land der Gänsefüßchen trifft auf eine scheinbare Normalität - vergessen scheint, daß Kohl dort noch vor kurzem in Gefängnissen „Konzentrationslager“ ortete, vergessen die haßerfüllten „Geh doch rüber“–Schreie bundesdeutscher Klein– und Großbürger. Nur am Rande des Besuchsprotokolls lugt ein Stück verdrängter Geschichte hervor: Während Honec ker, der ehemalige KZ–Häftling, auf dem Flughafen eintrifft, beginnt vor dem Bonner Landgericht einer der letzten NS–Prozesse - gegen einen Ex–Ministerialdirigenten des Wirtschaftsministeriums. Im Pressezentrum der Bundesregierung verteilt die DDR– Vertretung derweil Mappen mit bunten Prospekten über das andere Deutschland. Die Beziehungen haben sich scheinbar normalisiert. Den historischen Moment, als der große dicke Deutsche mit dem kleinen dünnen Deutschen zusammentrifft, wollten sich 2.400 Journalisten nicht entgehen lassen. Zu den internen Feinheiten dieses Besuchs gehört es, daß für ihre Akkreditierung die Inlandsabteilung des Bundespresseamts zuständig ist (sonst würde ja unter der Hand die DDR zum Ausland erklärt), aber für die eigentliche Arbeit die Experten der Auslandsabteilung ausgeliehen wurden. Hart umkämpft sind die Plätze der Pressetribünen direkt am roten Teppich vor dem Bundeskanzleramt - wer eine „Poolkarte“ für die Begrüßung ergatterte, kann sich glücklich schätzen. Noch am Morgen floriert der Tauschmarkt mit diesen Extra–Zulassungen für jeden einzelnen Unterpunkt des Staatsbesuchs. Deutsch–deutscher Eiertanz In Kontakt mit dem Objekt der journalistischen Neugierde, Honecker, kommt jedoch niemand. Der Bundesgrenzschutz hat das Gelände des Kanzleramtes mit hundert Mann abgeschirmt. Als die Ehrenkompanie der Bundeswehr einmarschiert, witzelt ein DDR–Journalist: „Das können unsere aber besser.“ Für die Ost–Kollegen ist dieser Moment deutsch–deutscher Geschichte ein Höhepunkt, doch sie nehmen ihn gelassen, als habe es nie einen Zweifel daran gegeben, daß eine Bundeswehr–Kapelle einmal die Becher–Eisler–Hymne spielen würde (und dabei noch nicht einmal aus dem Takt kommt). Immer wieder hat die Bundesregierung in den vergangenen Tagen darauf hingewiesen, daß sich alles an diesem Besuch im Rahmen des Grundlagenvertrags abspiele und auch die „Becher– Hymne“ mitnichten eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR bedeute. Und doch beherrscht viele Beobachter dieses sonderbaren Akts der Eindruck, daß die Bundesrepublik „hinter diesen Moment nicht mehr zurück kann“. Die Frage, wann Kohl nun in die DDR reist, ist eines der beliebtesten Spekulationsthemen dieses Tages. Wuchtig und schmächtig Die ganze Szenerie entbehrt dabei nicht der Komik: Daß die „innerdeutsche“ Ministerin Dorothee Wilms gerade heute eine riesige rote Schleife vor der Brust trägt, mögen manche Beobachter nicht als morgendliche Laune abtun. Auf dem roten Teppich steht der wuchtige Kanzler neben dem schmächtigen Generalsekretär, als wärs die Fotomontage aus der letzten Titanic. Die Fotografen schreien „Händedruck, Händedruck!“, und die beiden machens - allerdings nur einmal, und entsprechend sauer hallen ihnen die Rufe von der zweiten Pressetribüne nach: „Scheiße! Das war doch kein Bild!“ Ergriffenheit vermag auch beim Abschreiten der Ehrenkompanie zu den Klängen des Preußischen Präsentiermarschs nicht so ganz aufkommen - Pat und Patachon kommen einfach nicht in Gleichschritt. Aber so ist das nun mal mit den großen Augenblicken der Geschichte.