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Argentiniens Peronismus erneuert sich

■ Mit dem Wahlsieg vom Sonntag haben sich innerhalb der peronistischen Partei die „Erneuerer“ gegen die „Orthodoxen“ durchgesetzt Der Peronismus auf dem Weg vom autoritären Populismus zu einer modernen Partei / Bisher ist kein konkretes Programm erkennbar

Bert Hoffmann

Buenos Aires (taz) - Bei den Parlamentswahlen und Gouverneurswahlen in Argentinien hat die regierende „Radikale Bürgerunion“ (UCR) von Präsident Raul Alfonsin die absolute Mehrheit im Abgeordnetenhaus verloren, stellt aber weiterhin die stärkste Fraktion im Parlament. Die eigentlichen Wahlsieger vom Sonntag sind die Peronisten; ihre Justizialistische Partei hat deutlich mehr Wählerstimmen erhalten als die UCR. Mit dem Wahlsieg haben parteiintern die „Renovadores“, die Fraktion der „Erneuerer“, ihre erste Probe auf nationaler Ebene bestanden. Bei den Gouverneurswahlen stellten sie die Mehrheit, die Orthodoxen die Minderheit der peronistischen Kandidaten. Entstanden sind die Renovadores als Reaktion auf den Wahlsieg Alfonsins bei den Wahlen von 1983, die dem Land nach sieben Jahren Diktatur wieder eine zivile Regierung brachten. Ihr erklärtes Ziel ist es, den Peronismus zu demokratisieren, um ihn so wieder an die Schalthebel der Macht zu bringen. Ihren bisher größten Erfolg hatten die Renovadores bei der Änderung der Parteistruktur. Über die Aufstellung von Kandidaten und die Besetzung von Ämtern wird jetzt in Wahlen von den Mitgliedern entschieden. Dies bedeutet einen Bruch mit der orthodoxen Ideologie des Peronismus: Nach einem Militärputsch hatte sich 1945 der von Mussolini inspirierte General Juan Domingo Peron an die Spitze eines autoritären Herr schaftssystems gestellt. Organisationsprinzip war der „Vertikalismus“: Von oben nach unten - und nur in dieser Richtung - wurden Entscheidungen durchgesetzt, Posten verteilt, Politik bestimmt. Mit einer national–populistischen Politik und über umfangreiche Sozialmaßnahmen gewann Peron die Mehrheit der Bevölkerung für sich. 1946 und 1952 ließ er sich in Wahlen als Präsident bestätigen. Der Anspruch der Peronisten, die demokratische Tradition Argentiniens zu verkörpern, beruht auf eben dieser Unterstützung durch das Volk. Alle folgenden nicht–peronistischen Regierung konnten sich darauf nicht berufen: Entweder kamen sie über einen Militärputsch an die Macht - wie nach dem Sturz Perons 1955 - oder über Wahlen, bei denen die Peronisten nicht zugelassen waren. In Perons „Demokratie“ hatten bürgerliche Errungenschaften wie Pressefreiheit, institutionelle Gewaltenteilung oder Minderheitenschutz allerdings kaum Bedeutung. Von einigen der Renovadores wird dies nach altem Muster abgestritten, von anderen mit den Notwendigkeiten der damaligen Zeit erklärt. Offene Kritik an Peron jedoch gibt es nur ansatzweise im links–intellektuellen Umfeld der Partei. Für das heutige Argentinien aber, so der Grundkonsens in der Rhetorik der Renovadores, ist der parlamentarische Rechtsstaat der unüberschreitbare Rahmen für politische Auseinandersetzungen. In dieser Hinsicht war die Reaktion der Peronisten auf die Militär– Rebellion zu Ostern dieses Jahres ein historisches Ereignis: Antonio Cafiero, der wichtigste Mann der Renovadores, der am Sonntag zum Gouverneur der Provinz Buenos Aires gewählt worden ist, stellte sich damals neben Präsident Alfonsin auf den Balkon des Regierungspalasts und rief das Volk zur Verteidigung der demokratisch gewählten Regierung auf. So etwas hatte es in der argentinischen Geschichte noch nie gegeben. Auch sonst macht sich die zukünftige Entwicklung der Renovadores vor allem an Personen fest. Gemeinsame politische In halte über die Demokratisierung hinaus wurden bisher fest keine definiert. So werden bei der Wahl, die neuen Gewichte der Macht unter den Renovadores verteilt. Das größte Hindernis für die Renovadores, als Garanten der Demokratie glaubwürdig zu sein, stellt die Erinnerung an die Zeit von 1973 bis 1976 dar. 1973 hatten die Peronisten das erste Mal seit dem Sturz Perons wieder an Wahlen teilnehmen können. Die peronistische Linke befand sich in Aufbruchstimmung: Sie sahen im Peronismus ein antiimperialistisches Projekt der nationalen Befreiung, den Übergang zu einem „nationalen Sozialismus“. Nach dem Wahlsieg und der Regierungsübernahme gerieten die Peronisten jedoch in scharfen Konflikt mit der orthodoxen Rechten und zunehmend auch mit Peron selbst. Dieser war nach 18jährigem Exil als umjubelter Führer zurückgekommen. Nach seinem Tod 1974 übernahm seine Frau Isabel und damit die extreme Rechte die Regierung. Heikel für die Renovadores ist, daß ihre heutigen Wortführer auf beiden Seiten der damaligen Konfrontation zu finden sind. Cafiero selbst war eine zeitlang der Wirtschaftsminister im Kabinett Isabels. Viele der führenden Renovadores aus der Generation der 30– und 40jährigen hingegen kommen aus der linken Jugend– und Studentenorganisationen jener Jahre. Nach Perons Tod wurde der innerperonistische Kampf zunehmend mit offener Gewalt ausgetragen: Die Regierung benutzte die staatlichen Repressionsorgane und Terrororganisationen, um die Linke zu zerschlagen, und die starke, in den sechziger Jahren entstandene peronistische Guerilla, die „Montoneros“, ging zum Kampf gegen die Regierung Isabels wieder in den Untergrund. Das „Chaos“ der alltäglichen Gewaltakte diente dann 1976 den Militärs als Rechtfertigung für ihren Putsch. Diese Vergangenheit des Peronismus war im Wahlkampf der UCR eines der wichtigsten Argumente gegen die Peronisten. Doch scheint deren Verweis auf die Gegenwart der wirtschaftlichen Krise mehr Wähler überzeugt zu haben.

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