Grüne Hoffnungswahl für die Eidgenossenschaft

■ Schweizerinnen und Schweizer wählen dieses Wochenende ihr nationales Parlament / Ausgang der Bundeswahlen offen / Große Gewinne für Grüne prognostiziert / Drei Dutzend grüne Gruppierungen stellen sich zur Wahl / „Ökologische Front“ über die Parteigrenzen hinaus

Aus Basel Frank Matter

„Hoffnungswahl“ - irgendwann im letzten Frühjahr tauchte dieser Slogan auf. Seither prägt er die Berichterstattung in den Schweizer Medien. „Hoffnung“ steht dabei für eine ökologische Neuorientierung. Wenn die Schweizer und Schweizerinnen heute und morgen die beiden Parlamentskammern in Bern neu bestellen, richtet sich ihr Interesse vor allem auf den Nationalrat. Denn daß es im per Majorzverfahren gewählten Ständerat, dem helvetischen Senat, zu namhaften Sitzverschiebungen kommt, glaubt niemand. Einen Erdrutsch erwarten Polit–Wahrsager dafür in der 200köpfigen Volkskammer. Bisher saßen im Nationalrat 54 Freisinnige (FDP), 47 Sozialdemokraten (SP), 42 Christdemokraten (CVP), 23 Volksparteiler (SVP), 12 Unabhängige und Evangelische (LdU/ EVP), 8 Liberale (LPS), 5 Marxisten und Linkssozialisten, 4 Grüne und 5 Nationalisten. Meinungsumfragen ergaben in den vergangenen Wochen für die Grünen Stimmanteile von bis zu 18 Prozent. Große Verlierer werden danach die drei bürgerlichen Regierungspartner FDP, CVP und SVP sein. Glimpflich davonkommen sollen dagegen die Sozialdemokraten, die zwar im Bundesrat mitregieren, im Parlament aber dennoch als Oppositionspartei gelten. Der Wahlkampf wird von „grünen Themen“ dominiert. In Leser briefen, Stammtischgesprächen und Podiumsdiskussionen zeigt sich, wie sehr manche Eidgenossen das Waldsterben, die Havarie von Tschernobyl und die Sandoz– Katastrophe erschreckt haben. Ein weiteres dominantes Thema sind die Frauen. Sie wollen im neuen Parlament besser vertreten sein und nicht mehr nur jede zehnte Abgeordnete stellen. Zersplitterte Grüne Die ökologischen Gruppierungen in der Schweiz sind lokal entstanden. Für den Nationalrat kandidieren gut drei Dutzend von ihnen. Allein in Basel sind dem Wähler fünf verschiedene Listen mit der Bezeichnung „grün“ ins Haus geflattert. Damit sich die Ökologen nicht geghenseitig Stimmen wegnehmen, haben sie sich, teilweise auch mit den Sozialdemokraten, zu sogenannten Listenverbindungen zusammengeschlossen: Die Stimmen von kleineren Parteien gehen so automatisch an deren größere Listenpartner. Nach den Wahlen werden die Grünen vermutlich zwei Fraktionen bilden. In der einen werden gemäßigte Parlamentarier sitzen, die für eine ökologisch–soziale Marktwirtschaft plädieren. Die zweite Fraktion wird Fundamentalisten, Grün–Alternative und die bereits im Parlament sitzenden marxistischen progressiven Organisationen (POCH) umfassen. Daß die bügerliche durch eine linke Mehrheit abgelöst wird, ist in der politisch äußerst stabilen Alpenrepublik nicht denkbar. Dennoch frohlockt der Chef der Schweizer Sozialdemokraten, Helmut Hubacher, nach den Wahlen vom Wochenende würden „neue Mehrheiten“ in umwelt– und gesellschaftspolitischen Fragen möglich, so etwa beim Ausbau des öffentlichen Verkehrs, bei der Einschränkung des Autoverkehrs oder bei Auflagen für die Industrie. Der prominente Politiker geht davon aus, daß eidgenössische Parlamentarier bei Abstimmungen ihre Fraktionsgebundenheit locker handhaben, so daß bei einzelnen Sachfragen „fortschrittliche Bürgerliche“ auch mal mit der links–grünen Mehrheit stimmen. Wenn sich der Trend der letzten Jahre fortsetzt, wird jeder Zweite den Urnen fernbleiben.