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Gesucht: Arbeiter, die Goiania entseuchen

■ Aus Angst vor Schäden Entseuchung in der brasilianischen Provinzhauptstadt verweigert / Die am stärksten verseuchten Haushalte sind noch nicht dekontaminiert / Neun verstrahlte Patienten weiterhin in kritischem Zustand / Gegenseitige Schuldzuweisungen

Rio de Janeiro (afp) - Die Entseuchungsarbeiten an den meisten der am stärksten verseuchten Haushalte der brasilianischen Provinzhauptstadt Gioania haben einen Monat nach der Strahlenkatastrophe noch nicht begonnen. Der für den Abraum des radioaktivverseuchten Materials zuständige Ingenieur Alfredo Tranjan Filho begründete dies am Montag mit dem Regen und den Schwierigkeiten, bereitwillige Arbeitskräfte zu finden. „Die Mehrzahl der Arbeiter, die für den Bau des Zwischenlagers auf einer 20 Kilometer vom Stadtzentrum Goianias gelegenen Freifläche angeworben worden sind, verweigern die Arbeitsaufnahme, wenn sie erfahren, worum es geht,“ erklärte der Atominge nieur. Der Ort für die provisorische Deponie ist am 16. Oktober ausgewählt worden - 18 Tage nachdem der Unfall aufgedeckt worden war, den ein Schrotthändler durch das Öffnen eines Bestrahlungsgeräts aus einem stillgelegten Krankenhaus verursacht hatte. Aus dem Gerät, das zur Krebsbekämpfung eingesetzt worden war, war Cäsium137 ent wichen und hatte 244 Personen verstrahlt, von denen sich 64 einer Spezialbehandlung unterziehen müssen. Vier Opfer der Katastrophe sind bereits gestorben. Die Techniker der Nationalen Atomenergie–Behörde sind noch immer dabei, das Gebäude der Sanitätskontrolle zu „dekontaminieren“ (entseuchen), wohin die Kapsel mit Cäsium137 Ende September gebracht worden ist. Unterdessen werden die Bewohner der Hauptstadt des Bundesstaats Goias noch immer von der Furcht vor der unsichtbaren Strahlengefahr beherrscht. Es gibt nun einen neuen Opfertyp: die Katzen. Wie die Polizei am Montag berichtete, hat ein Polizeihauptmann der Stadt im Laufe der Nacht mehrere Katzen erschossen. Der Offizier hat sich in den Kopf gesetzt, daß die Katzen dem Schrotthändler Ferreira gehörten, der die Cäsium–137–Bombe geöffnet hatte. Neun schwer verstrahlte Patienten befinden sich noch in kritischem Zustand im Marinekrankenhaus Marcilio Dias von Rio de Janeiro, dem einzigen Krankenhaus des Landes zur Behandlung von Atomgeschädigten. Inzwischen wird auch immer deutlicher die Frage nach den Verantwortlichen der Katastrophe gestellt. Die Bundespolizei gab bekannt, daß gegen die Leiter des Instituts für Strahlentherapie, auf dessen Gelände das Gerät mit der radioaktiven Cäsium–Kapsel gestohlen wurde, ermittelt werde. Diese wiederum machen das Ministerium für öffentliche Fürsorge verantwortlich. Die Nationale Atomenergie–Behörde, die für die Kontrolle sämtlicher radioaktiver Apparate Brasiliens zuständig ist, verschickt jedes Jahr Briefe an die 1.400 Stellen, wo mit Strahlentherapie gearbeitet wird, um Informationen über die Lage zu erbitten. Nur 40 Prozent antworten. Der zertrümmerte Strahlenapparat hatte drei Jahre im verlassenen Gebäude gelegen.

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