Gorbatschow–Boom

■ Viele neue Bücher über die Perestroika in der Sowjetunion /Eine Nachlese zur Oktoberfeier von Erich Rathfelder

Ein abschreckendes Beispiel für die Aufarbeitung der jüngsten sowjetischen Geschichte bietet das Werk des österreichischen Orac– Verlages mit dem Titel: Michail Gorbatschow, „Was ich wirklich will“. Die Herausgeber meinen mit ihrem Trick, Fragen an Gorbatschow zu stellen und durch dessen alte Texte beantworten zu lassen, ein Stück Authentizität zu gewinnen. Die Fragwürdigkeit dieser Methode zeigt sich auch darin, daß einfach Textpassagen oder Sätze aus den letzten Jahren munter gemixt werden und somit jeglicher historischer Bezug zu den originalen Zusammenhängen abgeschnitten wird. Das ohnehin zu teure und mit 400.000 DM Werbeetat gepuschte Buch ist schlicht überflüssig. Dagegen finden sich viele authentische Texte des Reformers in dem von Pahl–Rugenstein herausgegebenen Band „Gorbatschow, die wichtigsten Reden“. Die Auswahl der Texte könnten jedoch die Leser selbst vornehmen, machten sie sich die Mühe, die Büros der sowjetischen Presseagentur Nowosti aufzusuchen oder die Zeitschrift Sowjetunion heute zu abonnieren (für 6 DM pro Jahr).Dagegen lohnt es sich, die vom Junius–Verlag verlegte und vom „Sozialistischen Osteeuropakomitee“ herausgegebene Schriftenreihe „Osteuropa–Info“ zu beziehen. Der Gorbatschow–gewidmete Band „Frühling in Moskau“ Gorbatschow–Rezeption. Auch der neueste und längst fällige Band über Rumänien dürfte auf eine interessierte Leserschar stoßen. Die neueste Ausgabe der Prokla versucht eine übergeordnete Diskussion zu initiieren, indem die Reformansätze in den sechziger Jahren und in anderen sozialistischen Ländern mit der aktuellen Entwicklung in der UdSSR konfrontiert werden. Maria Huber (Ungarn), Thomas Voß (Polen), Walter Süß ( Auswirkungen auf Osteuropa), Reimar Stuckenbrock und Michael Gumbert (Abrüstungspolitik) sind die Autoren. Zwei weitere Sammelbände, in denen sich Wissenschaftler zu verschiedenen Aspekten der aktuellen Entwicklung in der UdSSR äußern, sind erschienen in Fischer– und Ullsteintaschenbüchern: Im Ullsteinverlag wird der von Margarete Mommsen / H.H. Schröder herausgegebene Band „Die Revolution von oben“ verlegt, bei Fischer stellen Caspar Ferenci und Brigitte Löhr ihre Lesart des „Aufbruchs in der Sowjetunion“ dar. Friedrich Hitzers „Zeitzeichen aus der Ferne“ kümmert sich um die Entwicklung der Literatur in den letzten Jahren. Wer auch noch Interesse an den „Deutschen in der Sowjetunion“ hat, sollte sich um die Ausgabe des Nomos–Verlages kümmern (Benjamin Pinkas / Ingeborg Fleischhauer). Der von Hannes Adomeit herausgegebene Band „Die UdSSR als Militärmacht“ bei Kohlhammer rundet den Sowjetbüchertisch in der taz nun ab.