: Börsenknall und Dollarfall - Freut euch all!
■ Welt wird gerechter / Alles billiger / Chance für Ökologie / US–Truppen in Schwierigkeiten / Hört nicht auf Miesmacher!
Von Harald Mattfeldt
Nach Börsenknall und Dollarfall schwankt die Stimmung in den Wirtschaftsspalten der Tages– und Wochenzeitungen zwischen Apokalypse und Verwirrung. Es ist wie bei der Ökologie– und AKW– Diskussionen. Überall Horrorszenarien - von „Selters für Yuppies“ (taz) bis „Vom Kursverfall zum Untergang?“ (Die Zeit) - und schlechte Manieren: Der Umgangston zwischen Bankern und Ministern diesseits und jenseits des Atlantiks hat in kürzester Zeit das Niveau erreicht, für das die Grünen mehrer Jahre gebraucht haben. Selbst „H. Schmidt, der Weltökonom, der in seiner Regierungszeit die höchste Steigerung der Massenarbeitslosigkeit in der Geschichte der BRD zugelassen hat“, ist offenbar durch die Ereignisse etwas in Tüdel gekommen, kennt er doch bereits 100 oder 200 Millionen Haushalte in der westlichen Welt, die durch den Aktienkursverfall ärmer geworden sein sollen. Es ist zumindest ein Ausdruck von Gedankenverlorenheit, wenn es auf 100 Millionen Haushalte mehr oder weniger nicht mehr ankommt. Haben die Konservativen ihre bisherige Rezeptur, alles positiv zu sehen und gegen die Miesmacherkultur der Linken abzugehen, so schnell vergessen? Haben sie angesichts eigener Aktien– und Dollarguthabenverluste vielleicht sogar etwas die Nerven verloren? Oder sind im Börsenkrach und Dollarfall endlich die Schuldigen für den neunten Nachkriegs abschwung gefunden, nach denen sehnsüchtig Ausschau gehalten wurde? Die Scheichs oder die Reformpolitiker der Bundesregierung fallen ja wohl diesmal als Schuldige aus, auch die geringen Lohnsteigerungen der letzten Jahre können es nicht gewesen sein. Es sieht alles danach aus, daß die Hauptleidtragenden der komenden wie jeder Krise schon auf die „neuen“ Ursachen (Börse, Dollarfall, Amis) weiterer Arbeitslosikgkeit, weiterer Einschnitte ins soziale Netz usw. eingeschworen werden sollen. Da es ohne binnenwirtschaftlich ausgelegte Beschäftigungsprogramme nur wiederum den Exportausweg für die vorhandenen Überkapazitäten gibt, werden die Lohnabhängigen mit der Dollarfall–Parole erneut auf das Exportkampffeld und seine arbeitnehmerfeindlichen Minenfelder (Flexibilisierung, Arbeitszeitverlängerungen etc.) gelockt. Eine verschärfte Exportstrategie wird die Arbeitsbedingungen verschlechtern, den krisenbedingten Arbeitsplatzabbau beschleunigen und von notwendigen ökologischen und sozialen Beschäftigungsprogrammen ablenken. Fallt nicht auf diese Pseudokrisentheorie „Börse und Dollar“ herein! Ich jedenfalls kann (fast) nur Gutes im Börsenknall und Dollarfall sehen. (Allerdings hab ich weder Aktien noch Dollarguthaben.) Aktien– und Wechselkurse sind ganz normale Preise, und wenn die fallen, sollten wir uns genauso freuen, wie wenn Lebensmittel preise fallen. Wenn die Kurse fallen, wird VW nicht so schnell privatisiert, werden Öl und Benzin billiger, Flugtickets ebenfalls, und High–tech für die taz. Die braucht dann weniger Stille Gesellschafter und damit weniger Zinsen zu zahlen. Die eingesparten Zinsen und Spritkosten können als Lohnerhöhung ausgezahlt werden. Damit wird dann die Binnennachfrage angekurbelt. Aktienkurs– und Dollarverfall tragen außerdem eine Menge bei zur Gerechtigkeit in unserem Land, vor ihnen kann sich niemand verstecken. Sie erreichen steuerhinterziehende bundesdeutsche Spekulanten und Geldanleger in den USA und anderen Dollarräumen mit unfehlbarer Sicherheit und nachhaltiger als die Steuerfahndung. Die bundesdeutschen Geldemigranten werden durch die bisherigen Ereignisse und angesichts weiterer drohender Wechselkursverluste vielleicht zur Rückkehr bewegt - auf bundesdeutsche Spar– und Terminkonten und ähnliche Finanzanlagen. Dadurch wächst bei uns das Geldangebot, das Zinsniveau kann sinken. Das freut alle Schuldner, auch den Staat, und verhilft unseren Finanzministern zu einer besseren Haushaltssituation und uns allen noch einmal zu mehr Steuergerechtigkeit, wenn die reuig zurückgekehrten Gelder von Stoltenbergs Quellensteuer in Empfang genommen werden. Die Zinseinkommen werden schmäler. Börsenknall und Dollarfall sind also wichtige Beiträge zur Erfüllung des demokratischen Mehrheitsanliegens der Verringerung der Haushaltsdefizite und der Vergrößerung der Steuergerechtigkeit. Aber auch die ökologische Front kann durch diese Ereignisse gestärkt werden. Bei hoffentlich weiterem Aktienkursverfall können sich bald viele ökologische Aktivisten Anteile der Chemie– und sonstigen Firmen kaufen, um für ihre Ziele auf den Hauptversammlungen zu werben. Natürlich, auch US–Autombile könnten bei uns billiger und damit eine Konkurrenz für die bundesdeutsche Atomobilindustrie werden. Aber ist dies wirklich ernst zu nehmen? Diese Wagen werden nicht billiger als ein Lada sein und technisch können sie mit ihrem hohen Benzinverbrauch, ihren starren Hinterachsen und für unsere Parkplätze viel zu großen Karosserien mit westeuropäischen Autos nicht mithalten, US–Staubsauger und -Fernseher ebensowenig. Außerdem werden nicht nur US– Waren billiger, sondern auch US– Produktionsfirmen. Mögliche, durch den Dollarfall verringerte Marktanteile lassen sich durch den stark verbillgten Aufkauf von US– Firmen und anschließender Stillegung nach der Methode Thomson– Brandt bzw. Olivetti zurückerobern. Der Weltmarkt ist nun mal ein hartes Geschäft. Wenn wir es nicht machen, machen es die anderen! Etwas problematischer ist es allerdings mit der Verbilligung von US–Waffen und Drogen. Beides wird ja in Dollar fakturiert und dadurch attraktiver. Aber gibt es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Kriegen und den Waffenpreisen bzw. zwischen der Höhe des Kokainpreises und der Sucht selbst? Vielleicht nimmt durch die Verbilligung sogar die Drogenkriminalität ab. Monetarist Milton Friedman und andere Ökonomen sind jedenfalls davon überzeugt. Vielleicht wird auch die jetzige Zahl von in der BRD stationierten US– Soldaten verringert, da (in DM gerechnet) zu teuer. Dies käme nicht nur der deutsch–amerikanischen Freundschaft zugute, sondern würde zudem den Entspannungsprozeß in Europa fördern. Bei sinkenden Dollarkursen werden sich die in Dollar aufzubringenden Tilgungen und Zinsen der Länder der Dritten Welt (real) vermindern, was (fast) alle ja schon lange fordern. Ganz nebenbei würden auch die USA gleich einen erheblichen Teil ihrer eigenen Schulden, in Dollarkaufkraft gerechnet, loswerden, was die gerechte Strafe für die leichtsinnigen Kapital– und Warenexporteure ist, die das waghalsige US–Defizit bisher durch Kredite finanzierten. Fazit: Fallt nicht auf die Miesmacher des Börsenknalls und Dollarfalls herein und, liebe SpekulantenInnen, bleibt lieber in Eurem Heimatland und nähret Euch redlich. Finanziert mit Eurem Geld Arbeitsplätze und keine Luftschlösser. Der nächste Börsenkrach kommt bestimmt und bringt erneut Gerechtigkeit!
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