: „Wir müssen mit AIDS leben lernen“
■ Die Grünen organisierten in Köln den Kongreß „AIDS und Menschenrechte“ / Die Diskussion zeigte, daß die Grünen noch immer kein eigenes Konzept für den Umgang mit der Immunschwächekrankheit haben / Eine Grüne Basis fehlte bei diesem Kongreß
Aus Köln Andreas Salmen
Es war ein grüner Kongreß ohne Grüne, der am Wochenende in Köln zum Thema „AIDS und Menschenrechte“ beriet. Der überwiegende Teil der rund 200 TeilnehmerInnen kam aus AIDS– Hilfen, Selbsthilfeorganisationen von Schwulen und Prostituierten oder waren AIDS–Kranke und HIV–Positive. Das Fernbleiben der grünen Basis signalisiert, daß sich die Partei schwer tut mit der Auseinandersetzung über die Dimensionen der Immunschwächekrankheit, aber auch , daß der derzeitige Strömungskampf die Partei insgesamt lähmt. So forderte Bundesvorstandsmitglied Irmela Wiemann die Kongreßteilnehmer auf, „den Grünen Dampf zu machen“, die wenigen Einzelkämpfer seien nicht in der Lage, eine alternative AIDS–Politik zu entwickeln und umzusetzen. Hans–Peter Hauschild von der Frankfurter AIDS–Hilfe analysierte die gesellschaftliche Wirkung der Immunschwächekrankheit. Er wies auf die metaphorische Überladenheit der Krankheit hin, die stark mit gesellschaftlich nicht anerkannter Lust, mit nicht akzeptierter Sucht und mit Fremdenhaß verbunden werde. Diese Befrachtung schaffe eine Angst, die Entladung suche: „Die Virusträger sind nicht nur Täter statt Opfer, nicht nur AIDS–Terroristen für den Hochsicherheitstrakt, sondern - wie auf dem Mannheimer Juristenkongress formuliert - Mördermaschinen, die abzuschalten eine Frage der Vernunft ist“. Die Linke habe AIDS bislang verschlafen und sei in einem billi gen Taumel nach dem Motto „alle gegen Gauweiler“ verfallen. Hauschild fordert eine starke medizinische und juristische Gegenöffentlichkeit gegenüber der AIDS–Politik der Regierungsparteien. Zu Beginn des Kongresses wurden die AIDS–Politik der Bundesregierung, aber auch die verschiedenen Konzepte der Länder kritisiert. Während die Bundestagsabgeordnete Heike Wilms– Kegel bei Gauweiler und Süßmuth „dieselben Absichten, die hinter der Politik stehen“, sieht, bezeichnete Magnus Reitschuster diese Haltung von den bayerischen Grünen als Verharmlosung des Zwangsmaßnahmenkatalogs. „Ich teile ja durchaus die Kritik an Süßmuth, aber ich wehre mich dagegen, das als kühle Doppelstrategie der Reaktion zu sehen“ , erklärte er. Daß der HIV–Antikörpertest kein Mittel der Prävention sei, fand die einmütige Zustimmung der Kongreßteilnehmer. Konstanze Jacobowski von der Berliner Ärztekammer wies darauf hin, daß der Test das Augenmerk auf die falschen Aspekte richte und falsche Erwartungen wecke: „Der Staat kann das Problem nicht für seine Bürger lösen.“ Bundesanwalt Manfred Bruns sieht ein positives Textergebnis mittlerweile nur noch als Repressionsanlaß. Ein krankheitspräventives Verhalten sei schließlich auch ohne Testergebnisse möglich. Die ehemalige Pro–Familie–Bundesvorsitzende Melitta Walter gab ihren Austritt aus dem Frankfurter Verein AIDS–Aufklärung, in dessen Vorstand sie war, bekannt, da dort die Propagierung des Tests mit einer Abqualifizierung von Selbst hilfegruppen und „safer sex“ verbunden werde. Als einzige widersprach die Frankfurter Medizinerin Helga Rübsamen–Waigmann: „Man muß massiv zum Testen aufrufen, jeder sollte wissen, ob er positiv oder negativ ist.“ Als sie ihre Position mit einem Schreckensbild der bevölkerungspolitischen Apokalypse begründete, gab es einen Proteststurm im Saal: „Fünfzig Prozent der Kinder HIV–positiver Mütter sind ebenfalls positiv. Wenn irgendwann jedes zweite Kind HIV–infiziert zur Welt kommt, sterben wir bald aus. Schon heute sind die Afrikaner doch sehr viel produktiver bei der Kinderzeugung als wir.“ Michael Wunder von der Bundesarbeitsgemeinschaft Gesundheit und Soziales der Grünen befürwortete hingegen ein Testermutigungsprogramm nach Vorbild der Niederlande. Auf einer Podiumsdiskussion am Sonntagmorgen formulierten Vertreter der AIDS–betroffenen Gruppen ihre Forderungen. Helmut Ahrens, Drogenreferent der Deutschen AIDS–Hilfe, hatte den Eindruck, es gebe auch in der alternativen Szene die Neigung zu Repressionen, um sich vor den Folgen einer angeblichen Desperado–Mentalität zu schützen. „Das betrifft auch die Grünen.“ Ahrens forderte auf, endlich zu einer Politik der Suchtakzeptanz zu kommen und von diesem Standpunkt aus den Betroffenen Hilfe anzubieten. Peter Humann vom Bundesverband Homosexualität und eine Vertreterin der Hamburger Hurensolidarität verlangten eine Politik, die der Diskriminierung von Schwulen und Prostituierten entgegentritt. Hierfür, so Humann, müsse man auch an ein Antidiskriminierungsgesetz denken. Helmut Zander vom Hamburger „Gegenwurm“–Projekt, selbst an AIDS erkrankt, klagte die Interessen der konkret Betroffenen ein. Deren meist recht kurze Lebensperspektive müsse bei der Umsetzung von Politik berücksichtigt werden. „Es ist zynisch, uns erst im Hamburger Haushaltsplan für 1989 zu berücksichtigen, wenn ein Drittel meiner Kampf– und Leidensgenossen bereits tot sein werden.“ Die abschließende Diskussion der Perspektiven grüner AIDS– Politik zeigte, daß die Partei immer noch kein eigenes Konzept im Umgang mit der Immunschwächekrankheit und ihren gesellschaftlichen Folgewirkungen hat. So wollte die Bundestagsabgeordnete Regula Schmidt–Bott auch nicht allzu großen Optimismus verbreiten: „Vieles von dem, was hier an Einzelmaßnahmen gefordert wurde, zum Beispiel die Methadon–Programme, ist in der Partei nicht Konsens.“ Welchen Weg es nicht gehen kann, machte Heike Wilms–Kegel deutlich: „Es kann nicht darum gehen, eine Politik zu betreiben, die AIDS ausrotten soll. Das sind konservative Phantasien. Wir müssen mit AIDS leben lernen.“
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