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Uruguay will die Diktatur nicht vergessen

■ Heute werden der Regierung in Montevideo 617.000 Unterschriften überreicht / Mehr als ein Viertel der Wahlberechtigten fordert eine Volksabstimmung über die bereits beschlossene Amnestie für die Verbrechen der zwölfjährigen Diktatur / Präsident Sanguinetti windet sich

Aus Montevideo Gaby Weber

Ein Jahr, nachdem das Parlament von Uruguay ein Gesetz verabschiedet hat, das die Militärs für sämtliche Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen während ihrer zwölfjährigen Diktatur (1973–1985) amnestiert, werden heute den Behörden des südamerikanischen Staats 617.000 Unterschriften für ein Referendum, das die Rücknahme dieses Gesetzes anstrebt, übergeben. Präsident Sanguinetti, der immer wieder betont hatte, man wolle „nicht in die Vergangenheit zurückblicken“, ist nun verpflichtet, seine Bürger zu den Urnen zu rufen. Wenn ein Viertel der Wahlberechtigten - das wären zur Zeit 550.000 - sich für eine Volksabstimmung ausspricht, muß diese durchgeführt werden. So schreibt es die Verfassung vor. Am Erfolg der Volksabstimmung, die frühestens in einem hal ben Jahr, wenn die Behörden die Unterschriften kontrolliert haben, stattfinden dürfte, zweifelt in Montevideo kaum eine/r. Die Unterschriftensammlung fand in einem Klima der Angst statt, sagt Mario Benedetti, einer der bekanntesten Schriftsteller Lateinamerikas, der Mitglied des nationalen Beirats der Kampagne für ein Referendum ist. Viele haben nicht unterschrieben, weil sie um ihre Arbeitsstelle bangten. Beliebt war das Militär in Uruguay nie. Eine allgemeine Wehrpflicht gab es nie, und wer sich eine Uniform anzog, dem reichte es eben nicht zu einem anständigen Beruf. „Lieber schwul als Milico“ - so die Volksweisheit im Macho– Land. Die Verachtung den Militärs gegenüber schlug Anfang der siebziger Jahre in offenen Haß um, als die Streitkräfte im „Kampf gegen die Subversion“ die Folter gegen alle politischen Gefangenen einsetzten. Wer sich weigerte, zu foltern, landete selbst im Gefängnis - wie etwa der Hauptmann Edison Arrarte, dem seine Vorgesetzten neun Jahre aufbrummten. Über 50.000 Uruguayer haben während der Diktatur im Gefängnis gesessen, das heißt jeder 60. Bürger des Landes, und sie sind fast alle gefoltert worden. Nahezu in jeder Familie gab es ein Opfer der Militärs. Auf eben diese Vergangenheit wollte Präsident Sanguinetti „nicht zurückblicken“. Anders als in Argentinien, wo Präsident Alfonsin in den ersten Jahren seiner Regierung Folterer vor Gericht stellen ließ und die Mitglieder der Militärjunten teilweise zu lebenslänglichen Strafen verurteilt wurden, wollte die uruguayische Regierung mit solchen Prozessen erst gar nicht anfangen und ließ im Dezember 1986 das „Gesetz über die Hinfälligkeit der Strafabsicht des Staates“ verabschieden. Ein Gesetz, das nun mehr selbst hinfällig wurde. Der Erfolg der Kampagne für das Referendum ist wesentlich der Tatsache geschuldet, daß sie von Anfang an nicht nur ein moralisches, sondern auch ein politisches Fundament hatte. Die Tupamaros, früher Stadtguerilla, heute legale Partei, hatten die Volksabstimmung vorgeschlagen, um den von der Regierung verordneten Übergang zur Tagesordnung zu durchbrechen. Die Kampagne wurde nicht nur vom Gewerkschaftsdachverband gestützt, sondern auch vom parlamentarischen Linksbündnis „Frente Amplio“, in dem sich verschiedene Parteien von Christdemokraten bis hin zu Kommunisten zusammengeschlossen haben. Präsident Sanuinetti sucht nach politischen Lösungen. Im November nominierte er demonstrativ einen neuen Verteidigungsminister, Hugo Medina. Der Generalleutnant a.D. war während der Militärdiktatur Oberkommandierender der Streitkräfte. Für Sanguinetti gilt Medina als „weitere Garantie“ für die Konsolidierung der Demokratie, denn der General hatte in der letzten Phase der Diktatur mit den Politikern der traditionellen Parteien den geregelten Übergang zur Demokratie ausgehandelt. Doch die Berufung des Oberkommandierenden der Diktatur ist auf harte Kritik im Land gestoßen. Man spricht von ihm als einem „Gorilla“, einem „Putschisten“ und einer „Bedrohung der jungen Demokratie“. Medina selbst hat sein Amt mit den Worten angetreten: „Ich bin Soldat und werde für die Verteidigung der Institutionen und meiner Streitkräfte arbeiten.“ Auf die Frage, was er tun werde, wenn die Volksabstimmung das Amnestie– Gesetz zu Fall bringt und sich seine früheren Untergebenen vor Gerichten verantworten müssen, antwortete er kurz und bündig: „Das werden wir sehen.“

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