: Beschäftigte müssen für Betriebsunfälle zahlen
■ 8. Senat des Bundesarbeitsgerichtes setzt sich über bisheriges Grundsatzurteil zur Haftung bei Schäden im Betrieb hinweg und umgeht gerichtsinternen Instanzenweg
Von Wolfgang Lieberknecht
Eine Unachtsamkeit, ein falscher Knopfdruck, zu hohe Geschwindigkeit - nach der jüngsten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Arbeitnehmerhaftung ist der Weg in den Ruin für einzelne Arbeiter, Angestellte und ihre Familien sehr kurz geworden. Ein LKW–Fahrer, der seinen Tankwagen aus der Kurve steuert, eine Krankenschwester, die in übergroßer Hektik falsche Medizin verabreicht, ein VW–Arbeiter, der durch einen falschen Knopfdruck eine Anlage zum Stillstand bringt, Reparaturkosten und Produktionsausfall verursacht, - jetzt ist laut Presseerklärung des BAG der entstandene Schaden „grundsätzlich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer quotenmäßig zu verteilen“. Bei hohen Summen wird diese Beteiligung für Arbeiter und Angestellte praktisch unbezahlbar. Mit der neuen Grundsatzentscheidung hat der 8. Senat des Bundesarbeitsgerichts wieder ein Zwei–Klassen–Haftungsrecht eingeführt. Er verdonnerte zwei Taxifahrer, einen Aufshilfswachmann sowie einen Auszubildenen, die jeweils mit Firmen–Autos einen Unfall verursacht hatten, sich an der Schadensbegleichung zu beteiligen. Während Beamte nur für Schäden haften, die sie während ihrer Arbeit vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben, müssen Arbeiter und Angestellte jetzt grundsätzlich auch dann haften, wenn sie fahrlässig (unachtsam) gehandelt haben. Bisher mußte - wie bei den Beamten, also auch den Bundesarbeitsrichtern - der Arbeitgeber für diese Verluste allein aufkommen. Es wurde als sein Betriebsrisiko eingestuft. Die Abwälzung des Risikos auf die abhängig Beschäftigten entschieden die mit monatlich etwa 10.000 Mark dotierten Richter des von der konservativ–liberalen Bundesregierung neueingerichteten und mehrheitlich mit CDU– Mitgliedern besetzten 8. Senats des Bundesarbeitsgerichtes. Das Urteil ist auch die Folge einer speziellen Personalentscheidung von Bundesarbeitsminister Blüm. Zur vorsitzenden Richterin des 8. Senats berief er im vergangenen Jahr Frau Michels–Holl, rheinland– pfälzische Fabrikantenfrau und CDU–Mitglied. Blüm überging bei dieser Entscheidung als erster Bundesarbeitsminister der Bundesrepublik das Votum des Präsidialrats des BAG. Die Richtervertretung hatte gegenüber Blüm die Ernennung wegen mangelnder fachlicher Eignung abgelehnt. So ließ Frau Michels–Holl als Bundesarbeitsrichterin etwa zum Mutterschutz verlauten, „daß man es dem Arbeitgeber nicht immer zumuten könne, für die Matratzenfreuden seiner Mitarbeiterinnen aufkommen zu müssen“. Das Vorgehen des 8. Senates hat inzwischen am Bundesarbeitsgericht auch bei solchen Richtern helle Empörung ausgelöst, die selbst der CDU angehören. Bisher liegt die schriftliche Urteilsbegründung noch nicht vor. In der Pressemitteilung wird nur festgestellt, daß der Senat „der Auffassung des früher für das Schadensrecht zuständigen 7. Senats nicht gefolgt sei“. Dieser Senat hatte im März 1983 die seit der Jahrhundertwende festgeschrie bene Arbeitnehmerhaftung verändert und entschieden: „Ein Schaden, den ein Arbeitnehmer in Ausübung gefahrengeneigter Arbeit weder vorsätzlich, noch grob fahrlässig verursacht, gehört zu dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers und ist daher von ihm allein zu tragen.“ Für die Verlagerung der Haftung bei fahrlässig verursachten Schäden auf den Arbeitgeber hatten diese Richter seinerzeit zwei Gründe angeführt: Das Risi am Bundesarbeitsgericht rief jetzt aber auch die Art, in der der 8. Senat alle bisher üblichen Verfahrenswege übergangen hat, Empörung hervor. Für Entscheidungen mit grundsätzlicher Bedeutung für das Arbeitsverhältnis riefen die einzelnen Senate bisher stets den Großen Senat an. Dieser setzt sich nicht wie die übrigen aus drei Berufs– und zwei ehrenamtlichen Richtern zusammen, sondern aus dem Präsident des BAG, weiteren fünf Berufs– und vier ehrenamtlichen Richtern. Im Mai dieses Jahres war der große Senat bereits mit der Frage der Arbeitnehmerhaftung befaßt. Er war vom 3. Senat des BAG zur Grundsatzentscheidung angerufen worden, als es um eine Berliner Krankenschwester ging, die in Berlin versehentlich ein neugeborenes Kind fallengelassen hatte. Eine Woche, bevor der große Senat sein Urteil fällen wollte, entschied die Berliner Landesregierung, für die bleibenden Schäden des Kindes aufzukommen. Die Krankenschwester war entlastet, doch damit wurde eine Grundsatzentscheidung erstmal obsolet. Trotz der Tatsache, daß der große Senat im Mai schon mit dem Thema befaßt war - auch damals arbeitete schon der 8. Senat daran - wurde die „Grundsatzinstanz“ hier nicht angerufen - eine bisher am BAG einmalige Brüskierung der anderen Richter. Bereits im März hatten sich diese Richter in ähnlicher Weise über bisherige rechtsstaatliche Praxis am BAG hinweggesetzt. Im Februar 1985 hatte der Große Senat entschieden, daß gekündigte Arbeitnehmer dann einen „arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung“ bis zum Abschluß ihres Kündigungsprozesses haben, wenn die Entlassung in erster Instanz für unwirksam erklärt wird. Der 8. Senat bestritt trotz dieses Urteils im März dieses Jahres jeden arbeitsvertraglichen Rechtsgrund für die Weiterbeschäftigung. Für Weiterbeschäftigte führten die Richter ein eigenes, zweitklassiges Arbeitsrecht ein. Diese Arbeitnehmer haben nur noch Anspruch „auf Ersatz des Werts der geleisteten Arbeit“ und damit auf Vergütung für den Zeitraum, in dem sie unmittelbar arbeiten und nicht für Urlaubstage, Feiertage oder bei Krankheit. Damit wurde die Entscheidung des Großen Senats einfach unterlaufen. Mit der Beförderung von Frau Michels– Holl und der vorrangigen Berufung von BAG–Richtern, die der CDU angehören, hat die Bundesregierung die Weichen gestellt.
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