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Zwischen Weihnachtsmann und Moschee

■ Was er und seine türkischen Landsleute vom Weihnachtsfest halten, hat Kemal Kurt aufgezeichnet

Wenn man mich nach Weihnachten fragt, dann schließe ich mich Charles Dickens Scrooge an: Bah, Humbug. Das schulde ich nicht meiner islamischen Herkunft, sondern meiner Aufgeklärtheit, denn wir wissen alle, daß die Weihnachtsbells am lieblichsten an den Kassen der Kaufhäuser jingeln. Auch die islamischen Antworten auf Weihnachten, das Ramazan– und das Opferfest, haben bei mir nie gut abgeschnitten. Vielleicht bin ich ein geborener Festtagsmuffel, bei dem sich nicht nur der Kopf, sondern sämtliche inneren Organe gegenüber gesellschaftlich verordneter Fröhlichkeit sträuben. Die kleinen unerwarteten Freuden des Lebens - ein Blick, ein Wort, eine Berührung - haben mir immer genügt. Das Unbehagen aber, das der gestärkte Kragen und die rasierklingenscharf gebügelte Anzughose hinterließen, verstärkt durch die Gedanken an die vielen Hände, die noch vor dem Sonnenuntergang geküßt werden mußten, ließ sich nicht mal durch die vielen Geschenke, das erhöhte Taschengeld und das in drei Tagen zusammengetragene Arsenal an Süßigkeiten beheben. Das gleiche Unbehagen verspüre ich, wenn meine Kinder alle Jahre wieder die etwas abgegriffene Platte aus der Versenkung herausholen und „Oh du fröhliche“ die gute Stube füllt. Ihnen macht es offensichtlich Spaß, und warum soll ich mich überhaupt in ihre Angelegenheiten einmischen? Warum, vor allem, sollen sie um eine Erinnerung ärmer aufwachsen, die sie mit vielen teilen können? So lange ich nicht dazu tanzen muß, ist es mir wurscht. Meine weltmännische Toleranz stößt auf ihre Grenzen erst bei dem Baum. Da springt aber die Oma ein und lädt uns in das verschlafene Dorf in Niedersachsen zu einer gemeinsamen Familienfeier unter dem Nicht–mehr–Baum ein, unter dem die sich Jahr für Jahr präzise wiederholenden, zeitlosen Geschenke ausgebreitet werden - für mich ein Schlafanzug, handgestrickte Wollsocken und ein blauer Schein. Ich verstecke meine guten Mienen zum bösen Spiel hinter dem Fotoapparat. Harte Zeiten für Scrooge. So geht es mir. Wie aber geht es meinen Landsleuten? Sema Poyraz, Filmemacherin: Vor zwei Jahren hatte ich ein Schlüsselerlebnis. Ich wollte zum ersten Mal in meinem Leben eine Weihnachtsgans braten. Eigens dafür habe ich einen großen Bratentopf gekauft. Ich habe meine Freundinnen angerufen und mir von ihren Müttern Rezepte geben lassen. Ich fiel dann aus allen Wolken, als der Fleischer 95 Mark dafür verlangte. Die Gäste kamen. Wir setzten uns an den Tisch. Mir fiel auf, wir waren zehn Leute, daß kein einziger Deutscher dabei war. Alle meine deutschen Bekannten waren verreist, bei ihren Eltern oder so. Auf der Stelle habe ich mich entschlossen, einen Film über Weihnachten zu drehen. So entstand der Film „Stille Nacht im fremden Land“ für den SFB. Noch was. Als ich mit den Dreharbeiten fertig war, kam die Todesnachricht von Ramazan Avci, der in Hamburg von Skins verprügelt worden war und am Heiligen Abend starb. Diese Nachricht wurde zur Schlußszene meines Films. Da gab es viel Ärger mit den Auftraggebern. Niyazi Turgay: Man sagt, Weihnachten sei das Fest der Liebe. Das entspricht meinen Beobachtungen nicht. Vielleicht war es früher mal so. Heute ist es nur Kommerz. Die Leute, die ich kenne, stöhnen mehr unter dem Streß, in diesem Trubel Geschenke kaufen zu müssen, als daß sie sich darüber freuen. Früher, als die Kinder noch klein waren, haben wir ihnen auch was geschenkt. Jetzt sind sie erwachsen und wissen selbst, daß das Ganze reine Geschäftemacherei ist. Hayrettin Salli, Vorsitzender der Türk.–Islam. Union: Weihnachten ist das bedeutendste, das freudigste Fest der Christen. Gefeiert wird die Geburt Christi. Es ist kein islamisches Fest. Uns Muslimen geht es genauso viel an wie unser Ramazan–Opferfest die Christen. In diesem Maße respektieren wir die christlichen Feiertage. Die Muslime anerkennen und lieben Jesus wie die anderen Propheten auch. VonZwistigkeiten zwischen den Propheten Mohammed und Jesus kann keine Rede sein. Beide haben den Glauben an einen einzigen Gott propagiert. So gesehen ist die Geburt Christi auch für die Muslime eine freudige Angelegenheit, aber die islamischen und christlichen Feiertage sind unterschiedlich. Ahmet Mamuk, Änderungsschneider in SO 36: Weihnachten, Silvester, das alles hat mit unserem Glauben nichts zu tun. Das islamische Neujahr war im November. Na türlich haben die Christen das Recht, nach ihrem Glauben zu handeln. Schließlich ist die Bibel eines der vier Heiligen Bücher. Meine Kleinen wollen auch eine Lichterkette haben, so eine, wie sie sie im Kindergarten gesehen haben. Ich vertröste sie auf später. Da, dieses Fenster drüben, da wohnen Türken, die haben so was. Ich selbst gehe regelmäßig in Kreuzberg in die Moschee, aber keineswegs schaue ich auf die christlichen Bräuche von oben herab. Wir müssen uns gegenseitig respektieren. Sogar die verfeindeten Supermächte haben sich geeinigt, also warum sollen wir, Christen und Muslime, nicht zusammenkommen. Wir haben unsere religiösen Feste, sie ihre. Wir feiern zwar Weihnachten nicht, aber die christlichen Nachbarn bringen uns Geschenke, und wenn wir unsere Feste feiern, ein Lamm schlachten, geben wir ihnen auch was davon. Ahmet Tasc: Schon siebenmal war ich Weihnachtsmann über die studentische Arbeitsvermittlung. Mir gefällt es, den Kindern eine Freude zu machen. Vom erzieherischen Gesichtspunkt aus finde ich es gut, den Kindern nicht durch Maßregeln und Verbote, sondern durch Geschenke etwas beizubringen. Für mich persönlich hat der Tag keine religiöse Bedeutung. Der Job ist streßig, bis zu zwanzig Besuche muß ich an dem Nachmittag abhaken - aber ich verdiene 300 bis 700 Mark. Mein größter Lohn ist aber die Freude, die die Kinder dabei empfinden. Ich freue mich mit ihnen. Gegen einen türkischen Weihnachtsmann hatte bisher keiner etwas einzuwenden. Du mußt nur die Sprache gut beherrschen, damit du dich mit den Kindern vernünftig unterhalten kannst. Mit den Kindern gibt es absolut keine Probleme, aber manchmal mit den Eltern. Sie erwarten von dir, daß du auf die Minute pünktlich da bist. Sie haben kein Verständnis dafür, daß du zwanzig Besuche an einem Nachmittag machen mußt und mal etwas länger aufgehalten wirst. Ein Sprecher der Türkischen Nationalen Sicht (Mevlana– Moschee): Die Feiertage wollen wir im Einklang mit der Gesellschaft, in der wir leben, verbringen. Wir besuchen uns gegenseitig. Viele Muslime, die sonst freitags ihre religiösen Pflichten nicht erfüllen können, weil sie in er Fabrik an den Maschinen stehen müssen, nutzen die Gelegenheit und gehen in die Moschee. Manche von uns fliegen in die Heimat, manche pilgern sogar nach Mekka, was viel wichtiger ist. In dieser Hinsicht sind wir der deutschen Gesellschaft zu Dank verpflichtet, daß sie uns anläßlich Weihnachten diese Chance gibt. Ein Arbeitsloser: Was soll ich machen? Ich bin hier allein. Meine Frau und meine Kinder sind in der Türkei. Wir leben notgedrungen getrennt. Denn seit 1985 bin ich arbeitslos. Ich hatte einen Arbeitsunfall, der nicht anerkannt wurde. Mit ist hier viel Unrecht angetan worden. Während ich krank war, wurde mir der Lohn nicht weitergezahlt. Der Arzt hat meine Beschwerden nicht ernst genommen, wollte mich nicht untersuchen. Ich kann nicht arbeiten. Was geht mich Weihnachten an? Keine Arbeit, keine Familie, keine Lebenslust! Noch hat mich keiner eingelagen. Ich habe hier viele Bekannt. Wenn mich einer zum Essen einlädt, gehe ich gern hin. Wenn nicht, dann sitze ich zu Hause und löffele meine Suppe allein aus. So machen es also meine Landsleute. Jeder nach seiner Fasson. Für mich selbst wird Weihnachten erst durch Emerson, Lake & Palmer erträglich. Wenn mir die Glöckchen–, Lichter– und Kerzenspiele zu bunt werden, versuche ich den überall anklebenden Weihnachtsgeruch mit „I believe in Father Christmas“ (aus ihrem Album „Works II“) zu vertreiben. Ich nehme es ihnen auch nicht ab, aber sie können wenigstens schön singen: They said therell be snow at Christmas They said therell be peace on earth But instead it just kept on raining A veil of tears for the virgin birth. Das ist immer gut. Peace on Earth. Für alle. Für alle Tage.

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