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Noch keine neue Justiz für Nicaragua

■ Trotz guten Willens zur Reform fehlt es an Fachleuten und Material / Überlange U–Haft, drakonische Militärjustiz, doch beispielhafter Strafvollzug / Reformversuche ersticken im „Würgegriff der USA“ / Jetzt Teilreform in Aussicht

Von Klaus Wolschner

Bremen (taz) - „Die haben ja nicht einmal Stühle in den einfachen Gerichten“, klagt SPD–Politiker Horst Isola. Fehlende Räume, mangelnde juristische Kenntnisse, überlange Untersuchungshaft–Zeiten, Behinderung der Verteidigung, sogar Behinderung der Richter durch die Polizei - nicht aus einer diktatorischen Bananenrepublik, sondern aus dem sandinistischen Nicaragua berichtete der Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristen (ASJ) und Bremer Bürgerschafts–Abgeordnete. Im Rahmen eines Entwicklungshilfe–Projekts der Friedrich– Ebert–Stiftung war er Ende November zum zweiten Male in Nicaragua, um die dortigen Bestrebungen zur Reform, besser: zum Neuaufbau eines Justiz– und Strafvollzugswesens zu beraten. Überrascht war Isola von der Offenheit, in der auch hochrangige Gesprächspartner die Probleme in ihrem Land beschreiben. Isola will jedoch keineswegs zu den Nicaragua–Kritikern gezählt werden. Der „Würgegriff der USA“ lasse die Resultate „fast übermenschlicher Anstrengungen“ vielfach zunichte werden, erklärte er. Im Unterschied zu anderen Ländern hat die sandinistische Revolution die meisten der alten Richter von ihren Posten abgelöst; engagierte Anwälte aus der Somoza–Zeit nahmen ihre Stellen ein. Von ihnen haben aber viele den Staatsdienst quittiert: Die horrende Inflation hat die staatlichen Löhne auf einen lächerlichen Betrag zusammenschmelzen lassen, einem Monatslohn von ungefähr 400.000 Cordobas entsprechen heute umgerechnet nur noch etwa 50 Mark. So hat sich die Justiz insbesondere auf regionaler und lokaler Ebene noch nicht von Grund auf erneuern können. Auch die Juristen–Ausbildung folgt dem Curriculum der Kolonialzeit. „Wir haben noch den alten spanischen Geheimprozeß“, erklärt Isola die noch auf das frühe 19. Jahrhundert zurückgehenden Rechtsverhältnisse. Die neuen Richter zeichneten sich durch viel guten Willen aus, vielfach aber auch durch „mangelnde Fachlichkeit“. Schon 1984 war Isola von der Friedrich–Ebert–Stiftung zur Beratung der Justiz–Reform in das mittelamerikanische Land geschickt worden. Weil es dem Rechtswesen am Nötigsten - an Schreibgeräten, Räumen und Fachpersonal - fehlt, sei von den damaligen Vorschlägen bisher nichts umgesetzt worden, berichtete Isola. Jetzt solle wenigstens eine Teilreform versucht werden: Die mündliche Beweiserhebung solle durchgehend eingeführt, das Aussageverweigerungsrecht und das Recht auf Akteneinsicht für Verteidiger garantiert werden. Eine strikte Frist, in der Beschuldigte - die oft ohne weitere Umstände in U–Haft genommen würden - dem Richter vorgeführt und dann auch angeklagt werden müßten, soll die vielfach für unser Rechtsempfinden skandalösen Haftzeiten verringern. Die vom Präsidenten Ortega eingesetzte nicaraguanische Menschenrechts– Kommission habe von einem Fall berichtet, in dem eine Frau wegen Hühnerdiebstahls vier Jahre in U– Haft saß. Nach dem bisherigen Recht wird dabei die U–Haft nicht auf die Strafe angerechnet. 80 Prozent der Fälle, in denen die Menschenrechts– Kommission tätig geworden ist, haben überlange Untersuchungshaft zum Gegenstand gehabt. In zwei Fällen ist Anklage wegen Mord und Folter erhoben worden. Vor allem in höheren Gerichten und einer Kassations–Instanz, die Urteile auf Rechtsfehler prüft, sitzen laut Isola Juristen, die die Problematik erkannt haben und manches Urteil im Sinne der neuen Verfassung aufheben. Dort steht nämlich in Artikel 39 unter anderem zu lesen, daß der Strafvollzug zur Resozialisierung beizutragen habe. Von dem Strafvollzug war der westdeutsche Jurist und Senatsrat im Bremer Justiz–Ressort beeindruckt. Die Häftlinge können weitaus mehr Pakete geschick Vergehen der Soldaten drakonisch ahndet, um aus den Soldaten Vorbilder für die revolutionäre Nation zu machen. Die ASJ, so kündigte Isola an, werde sich mit einem neuen Aufruf zur Sach–Hilfe befassen. Er überreichte bei seiner Ankunft dem Präsidenten des Obersten Gerichtshofes ein Diktiergerät - es ist das zweite, über das die nicaraguanische Justiz verfügt. Das erste wurde von der Berliner ASJ mitgebracht. Isola selber will im Sommer dieses Jahres für mehrere Wochen wieder nach Nicaragua reisen, um mit seinen Kenntnissen die dortigen Justizreform–Bemühungen zu unterstützen.

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