Italiens Radikale Partei will Grenzen sprengen

34. Parteikongreß der Radikalen in Bologna / Vorsitzender Pannella will „Partei ohne Ländergrenzen“ / Parteibasis skeptisch / Spürbares Unbehagen beim Vorsitzenden über Ilona Staller, die er „Cicciolina“ nennt  ■ Aus
Bologna Werner Raith

Die Idee, kein Zweifel, fasziniert nicht nur die „Radikalen“; im Grunde steckt sie ja schon in manch anderen Ansätzen wie der „Kommunistischen Internationale“ und der „Sozialistischen Internationale“ oder im Zusammenschluß der Konservativen: die Gründung einer „transnationalen Partei“, zumindest auf euro- päischem Niveau, mit dem Ziel, „der zunehmenden Internationa lisierung der Politik, ihrer Dominierung durch multinationale Konzerne und multinationale Absprachen adäquate politische Formationen entgegenzusetzen“.

Italiens Radikale Partei, „Partito Radicale“ (PR), mit knappen zweieinhalb Prozent nicht gerade zu den Riesen ihres Landes zählend, werden die nationalen Grenzen zu eng. Auf ihrem 34. Kongreß in Bologna propagiert ihr zwar schon etwas angestaubter, aber noch immer mit Ovationen be dachter langjähriger Vorsitzender Marco Pannella die Auflösung des nationalen Parteiverbandes und den Aufbau einer „Partei ohne Ländergrenzen“.

Neues Parteisymbol der Euro- Radikalen: Mahatma Gandhi, der 1946 ermordete Erfinder des gewaltlosen Widerstandes. In zehn Sprachen prangen die Schlagworte der neuen Radikalen hinter dem Podium und verheißen „ein gewaltfreies Europa“, ganz „dem Recht“ verschrieben.

Doch so verzückt das Fußvolk auf „die neue, vielleicht letzte Herausfordernung ihres alten Leaders Marco Pannella“ (La Repubblica) starrt, so wenig können die meisten im Saal und auf den verregneten Stiegen vor dem Kongreßpalast konkret mit der „Transnationalität“ anfangen. Zwei alte Hasen der Radikalen, Fraktionschef Ruttelli und der dienstälteste Abgeordnete Teodori, sehen bisher zwar viele schöne Publicity-Ideen, aber noch keine Lira, mit der das alles finanziert werden soll.

Parteipräsident Bruno Zevi gar schmetterte einen Totalverriß der neuen Idee vom Podium: „Der Verzicht auf die Beteiligung an nationalen Wahlen bedeutet das Ausbleiben der Wahlkampfkostenerstattung“ (1987 umgerechnet mehr als drei Millionen Mark) „und wohl auch vieler Spenden – also das Versiegen der Quellen, von denen wir bisher gelebt haben.“ So raunen sich auf den Gängen des Kongreßbaus immer mehr Radikale die Parole von einem „möglicherweise totgeborenen Kind“ zu.

In der Tat sind die „transnationalen Programmpunkte“ Pannellas nicht gerade neu und auch nicht von politischer Dichte geprägt – fast alle sind Kampagnen-Extrakte aus zurückliegenden, überwiegend, gescheiterten Aktionen, wie die „für eine europaweite Liberalisierung des Drogenhandels“, „gegen den Welthunger“ oder „gegen den Totalitarismus“. Merkwürdiger Kontrast zum propagierten „Transnationalismus“: ausgerechnet die einzige Figur der Partei, der bislang der „Durchbruch“ zu internationaler Bekannheit gelang und die den Namen der radikalen Partei weit über Italiens Grenzen bekannt gemacht hat, ist von den neuen Internationalen gar nicht gerne gelitten.

Ilona Staller – die von Pannella wie Negri hartnäckig nicht mit ihrem Namen, sondern dem aus ihren Porno-Shows vertrauten „Cicciolina“ tituliert wird – sollte nach dem Willen der Parteileitung gar nicht zum Kongreß kommen, sich zumindest dort, so Parteisekretär Giovanni Negri in einem gelegentlichen Brief vorab, „diskret benehmen“.

Sie kam, und ostentativ setzte sie sich auf Negris Platz, als der gerade seine fast 60-Seiten-Programmrede verlas: Signal, daß sie ihre Ankündigung wahrmachen und für den Parteivorsitz kandidieren will.

Zweifellos ein eher dubioser Einstieg ins Transnationale für eine Partei, die den Minderheitsschutz und die Anti-Diskriminierung aufs Papier geschrieben hat, Frau Staller vermutet allerdings, daß die Kampagne gegen sie „vorwiegend der Ablenkung von einigen anderen Aktivitäten der Parteibosse dient, die vielen Radikalen noch in den Gliedern steckt“ – etwa, daß die Partei bereitwillig zu mehrfach Lebenslänglich verurteilte Mafia-Bosse aufgenommen hat, und daß sie sogar alles darangesetzt hatte, den Chef der kriminellen Geheimloge „P2“, Licio Gelli, für eine Kandidatur zu gewinnen, dem neben Putschversuchen und Waffenschiebereien auch die 85 Toten des Attentats von Bologna im Jahr 1980 angelastet werden. Marco Pannella hat inzwischen die Flucht nach vorne angetreten: Gegen Ilona Staller, ließ er zunächst streuen, wolle er persönlich um den Parteivorsitz kämpfen. Als das keine Wirkung zeigte, versuchte er es mit Umarmungstaktik: Er verteidige „das politische Verhalten Cicciolinas“, sagte er mit Nachdruck auf „politisch“, und meinte damit, daß Frau Staller, so unter Pannellas Fittiche genommen, dann gar keinen Grund mehr zur Kandidatur haben werde.

Natürlich wird Pannella, so er will, wieder Parteichef. Doch sein Schritt zeigt, wie sehr er die Gefahr spürt, daß sich gerade um Frau Staller das gar nicht unbeträchtliche Heer unzufriedener Radikaler schart, die Pannella die Wahlschlappe vom Vorjahr ebenso übelnehmen wie manch danebengegangenes politische Manöver – von der indifferenten Haltung gegenüber den erfolgreichen Grünen bis hin zur fast völligen Unterwerfung der Partei unter den Willen des machthungrigen Sozialistenchefs Craxi.