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Ein Referendum und viele Meinungen

■ Nach wie vor ist Chiles Opposition sich nicht einig, wie sie mit Pinochets Referendum umgehen soll / Noch sind sie nicht in wahlregister eingetragen / Die Front der „Realos“ wächst, aber eventuell kommt der Diktator dieser Einheit mit einer Vorverlegung des Termins zuvor

Aus Montevideo Gaby Weber

Einen satten Sieg wird Chiles Gerneral Pinochet angeblich bei dem Referendum im kommenden September erringen. Eine bedrohliche Aussicht, der die chilenische Opposition bislang bemerkenswert wenig an politischen Strategien entgegenzusetzen hat. Noch immer ist nicht grundsätzlich entschieden, ob man sich (wie bislang 3,5 Mio. der insgesmt 8,5 Mio. Stimmberechtigten) in die Wahlregister einschreiben soll. Soll man das Parteiengesetz der Diktatur anerkennen, damit man für den Fall, daß Pinochet in der Volksabstimmung scheitert, an den Wahlen teilnehmen darf? Oder soll man den gesamten Prozeß samt und sonders boykottieren? Der Spaltpilz feiert fröhlich Urständ. Allein sechs Vereinigungen haben bislang freie Wahlen anstatt des Referendum auf ihre Fahnen geschrieben. Daneben führen die im vergangenen Juni gegründete Izquierda Unida (IU), die Demokratische Allianz, die Coordinadora, die Ende des Jahres gegründete Partei für die Demokratie und natürlich die zahlreichen politischen Parteien ein politisches Eigenleben. Die Christdemokraten (PDC) gehen schon seit Mitte 1986 auf Abstand zu allen linken Organisationen; spätestens mit der Wahl des zum rechten Parteiflügels zählenden Patricio Aylwin zu ihrem Präsidenten vor einem halben Jahr gab die C–Partei die soziale Mobilisierung zugunsten der Verhandlungen mit den Militärs auf und erkannte die 1980 verabschiedete Verfassung an. Inzwischen haben sich zwar auf massiven Druck der PDC (mit Ausnahme des MIR) alle Opposi tionsgruppen zur Einschreibung in die Wahlregister aufgerafft, darunter im Oktober 87 auch die KP, die noch zuvor derartige Forderungen mit Parteiausschluß quittiert hatte. Doch die Eintragung geht nur schleppend voran. Die Basis scheint lange nicht so überzeugt von der Teilnahme am Referendum zu sein wie ihre Anführer. Wer ist die Avantgarde? „Vielleicht ist die Mobilisierungskraft der Parteien lange nicht so groß wie sie selbst darstellen“, vermutet die linke Zeitschrift „Analisis“. Doch statt das Auseinanderklaffen von sozialer und politischer Bewegung zu ana lysieren, hält es die chilenische Linke wie seit jeher mit Wegstecken: „Das Thema Eintragung in die Wahlregister ist inzwischen zweitrangig geworden“ - so Alejandro Yanez, KP– Führer und Interims–Generalsekretär der Izquierda Unida. Bisher haben nur die PDC, die Sozialdemokraten und die Humanistische Partei (PH) ihren Wunsch erklärt, sich als Partei zu konstituieren und das Parteiengesetz zu akzeptieren. Nach diesem Gesetz ist marxistischen Parteien die Teilnahme an Wahlen verboten. „Das Parteiengesetz gefällt uns nicht“, begründet PH–Sprecher Raul Alarcon die Anerkennung der Demokratievorstellun gen des Regimes - „aber wir werden keine Puritaner sein“. Die PH ist ein Ausdruck des chilenischen Zeitgeistes mit jugendlichem Outfit. Sie ist erst im Mai 1984 entstanden. Die Humanisten bezeichnen sich selbst als „neue Linke“ und sozialistisch im weitesten Sinne. Auf historische Vorbilder wollen sie sich nicht festnageln lassen. „Wenn wir in der chilenischen Geschichte etwas suchen, womit wir uns identifizieren können“ - so PH–Chef Jose Tomas Saenz - „können wir sagen, es gibt im Versuch Allendes interessante Elemente, aber nur einige, sehr punktuelle Sachen.“ Man sei eine neue Generation: „Unser Motor ist die Freude, das gute Feeling. Manche Leute machen Politik, weil sie sich schlecht fühlen und weil sie ihre Bedingungen ändern wollen“ (Alarcon). Von den traditionellen Parteien wurden die Humanisten mit ihrem Gänseblümchen–Sozialismus lange belächelt, bis sie Mitte Dezember fast 65.000 Unterschriften den Behörden übergaben - das doppelte, was sie für ihre Zulassung als Partei brauchten. Keiner der anderen Parteien ist dies bisher geglückt. Damit ist die PH, die sich für Bündnisse nach allen Seiten hin offen hält, innerhalb der Opposition zu einer nicht mehr zu leugnenden Kraft geworden. Gefragt nach ihrer Linie, will sie sich mit niemandem anlegen: Man sei für freie Wahlen, soziale Mobilisierung, aktive Gewaltfreiheit, Einschreibung als Partei, Nein zum Plebiszit - und für Freude und das gute Feeling. Freie Wahlen stehen weiterhin auf ihren Fahnen, aber - so sagen sie - „das Plebiszit ist eine existierende Realität“. Eine Realität ist auch die derzeitige Offensive Pinochets. Er scheint inzwischen seine Kandidatur bei seinen Generälen durchgesetzt zu haben. Pinochet im Wahlkampf Wer seine Aufstellung in Frage stellte oder sich schlicht dazu nicht äußern wollte, zahlte dafür mit dem Ende seiner Karriere, wie Arturo Alvarez. Der General antwortete auf eine Reporter–Frage nach der politischen Zukunft seines Oberbefehlshabers: „Ich möchte mich zu politischen Dingen nicht äußern.“ Einen Monat nach dem Interview wurde der General - auf dem Höhepunkt seiner militärischen Karriere - in den Ruhestand versetzt. Da ein Großteil der Opposition noch nicht in die Wahlregister eingetragen ist, wird zur Zeit heftig über eine Vorverlegung des Referendums spekuliert. Denn das Regime ist unpopulär und auch 1980 wurde das wirkliche Datum über die Abstimmung über die Verfassung erst drei Monate vorher bekanntgegeben. Der Wahlkampf in Sachen Referendum ist längst ausgebrochen. Photos des Juntachefs überschwemmen die Stadt und die Medien: Pinochet in Zivil, mit Kindern auf dem Arm oder alte Leute stützend, und Pinochet im Jogging–Anzug und beim Gewichte stemmen. Der 72jährige gibt sich freundlich und rüstig. Eine nationale Anzeigenkampagne, natürlich mit Steuergeldern finanziert, preist die erbrachten Leistungen fürs Vaterland. Wie kein anderer Politiker bereist Pinochet alle Provinzen, weiht Brücken, Straßen und Neubauten feierlich ein und verbreitet vor seinen Anhängern Siegesstimmung: „Wir werden sie dem Erdboden gleichmachen“.

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