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Schlupfloch Eurochemic

Stillgelegte Nuklear-Anlagen werden von den internationalen Atombehörden nicht kontrolliert. Genauer gesagt: Anlagen, von denen angenommen wird, daß sie stillgelegt sind. Die Deutsche Presse-Agentur verbreitete in diesen Tagen eine Meldung, deren Quelle hartnäckig geheimgehalten wurde: Aus einem Bereich des Atomzentrums Mol, in dem die Kontrollen der IAEO nicht erfolgten, sei spaltbares Material ins Ausland geliefert worden. Nicht kontrolliert, weil offiziell stillgelegt, wird in Mol die frühere Wiederaufarbeitungsanlage Euroche mic – eine WAA, die vom Wackersdorf-Betreiber DWK vor gut einem Jahr fast wieder in Betrieb genommen worden wäre.

Die Betreiberfirma Eurochemic wurde 1957 von zwölf europäischen Mitgliedsstaaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gegründet, darunter die Bundesrepublik, Belgien und Frankreich. Die WAA, 1968 in Betrieb genommen, sollte wirtschaftlich arbeiten, aber vor allem den beteiligten Ländern Wiederaufarbeitungs-Know-how zur Verfügung stellen.

Doch das multinationale Projekt kam schnell in die roten Zahlen: Die Konkurrenz mit den WAAs in Windscale und La Hague verschärfte sich; die Eurochemic- Mitglieder BRD und Frankreich schlossen sich mit Großbritannien zu einer eigenen Aufarbeitungsgesellschaft zusammen. 1974 wurde die Anlage in Mol geschlossen. In ihren sechs Betriebsjahren wurden nach Angaben der Naturwissenschaftlergruppe NG 350 in Marburg 678 Kilogramm Plutonium extrahiert; knapp 3.000 Kubikmeter hochradioaktiver Abfall fielen in diesem Zeitraum an.

Nach Informationen des „Energie-Report“ lagern auf dem Gelände des Unternehmens aus der sechsjährigen Betriebszeit noch zahlreiche Fässer mit hochbrisantem radioaktivem Stoff. Noch immer arbeitet ein Rest der Verwaltung der Eurochemic. An der Spitze steht der deutsche Atomfachmann Bursekies, sein Stellvertreter ist ebenfalls ein Deutscher, Hubert Eschrich. Er ist seit langer Zeit Mitglied der deutschen Reaktorsicherheitskommission.

1986, zwölf Jahre später: Die Eurochemic-Anlage ist inzwischen unter dem Namen „Belgoprocess“ von einer neuen Gesellschaft übernommen worden, deren Anteile der belgische Staat und belgische Energieunternehmen halten, und es gibt immer noch keinen endgültigen Stillegungsbeschluß. Offensichtlich befindet sich die Anlage weiterhin in einem Zustand, der nun die deutsche DWK über ihre Reaktivierung nachdenken läßt.

Die DWK ist in Belgien ohnehin vor Ort präsent: Mit ihrer Pilot- Anlage PAMELA, finanziell unterstützt vom Forschungsminsterium, wird der hochaktive Eurochemic-Müll verglast. Jetzt, im Oktober 1986, rechnet die DWK- Spitze durch, was die Reaktivierung der Mol-Anlage bringen würde: Mischoxid-Brennelemente aus deutschen Reaktoren könnten dort, zusätzlich zu der geplanten Kapazität von Wackersdorf, aufgearbeitet werden. Denn, so berichtete das amerikanische Atom-Fachblatt Nuclear Fuel, in Wackersdorf dürften nur 16 Prozent des angelieferten Materials aus diesen MOX-Brennelementen bestehen und die Deutschen hofften nun, in Belgien mehr Plutonium recyceln zu können. Die DWK, so das US-Blatt, stand im Herbst 1986 in den Startlöchern, einen Viertel-Anteil von Belgoprocess zu übernehmen und hatte damit eine Schlüsselstellung für andere interessierte Betreiber. Doch aus politischen Überlegungen verwarf die DWK schließlich diesen Plan: Die Reaktivierung der belgischen WAA würde die Durchsetzbarkeit von Wackersdorf in der BRD noch mehr erschweren, entschied der Aufsichtsrat im November 1986.

Die zähe Langlebigkeit der offiziell stillgelegten Eurochemic- Anlage legt einige Fragen nahe: Zum Beispiel, ob jene 678 Kilogramm Plutonium wirklich den Weg zurück in die Länder fanden, aus denen die Brennelemente angeliefert worden waren. Oder: Was mit dem hochaktiven Müll geschah. Das Interessanteste dürfte allerdings sein, ob die WAA in Wartestellung nicht doch genutzt wurde in den zurückliegenden Jahren. Ein nicht kontrollierter Bereich... Charlotte Wiedemann

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