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„Wir wollten nicht sinnlos hinter Gittern bleiben“

■ Freya Klier und Stephan Krawczyk werfen ihrem Rechtsanwalt vor, sie während der Haftzeit über die Solidarisierungswelle in der DDR im Unklaren gelassen zu haben Die Veröffentlichungen im Neuen Deutschland erschienen ihnen als Vorbereitungen für einen Schauprozeß / Ein Interview über die Umstände ihrer Ausreise

taz: Immer noch steht Behauptung gegen Behauptung. Ihr sagtet in eurem kurzen Statement nach der Ausreise, daß ihr gezwungen wurdet, in den Westen zu gehen, Rechtsanwalt Schnur und andere Vertreter der Kirche von Berlin-Brandenburg bleiben bei ihrer Version der „freiwilligen Ausreise“. Wie lief denn alles nach eurer Sicht wirklich ab

Stephan Krawczyk: Das Verhalten der Kirchenvertreter hat etwas zu tun mit der Absprache, an die sie sich halten wollten, nämlich zu vermitteln. Staatsinteresse war, daß dieser Konflikt so ruhig wie möglich über die Bühne gehen sollte. Die Kirche ihrerseits war an einer bestimmten „humanitären Lösung“ interessiert, die in erster Linie darauf gerichtet war, uns aus dem Knast zu befreien und nicht darin bestand, unsere politischen Interessen zu vertreten, in der DDR eine Demokratisierung in Gang zu bringen.

So können Kirche und Staat ja mit der jetzt gefundenen Lösung zufrieden sein ...

Freya Klier: Zufrieden ist der falsche Ausdruck. Die Staatsmacht kann nicht zufrieden sein, weil sie einen großen Prestigeverlust erlitten hat, nachdem sie in der letzten Zeit besonders emsig an ihrem außenpolitischen Renommee poliert hatte. Und für die Kirche ist das differenzierter zu sehen. Die Kirche in der DDR ist keine homogene Einrichtung, ihre Mitarbeiter unterscheiden sich in dem Grad des gesellschaftlichen Engagements. Die Bandbreite reicht von unpolitischer Konformität bis hin zu gesellschaftsverändernden Konzepten.

Schon seit längerem wurde in Zusammenhang mit unseren Auftritten in Kirchenräumen starker Druck von seiten des Staates auf die engagierten kirchlichen Mitarbeiter ausgeübt. Dieser Druck wurde im letzten halben Jahr erheblich verschärft – unsere Auftritte wurden mit Geldstrafen belegt, Gemeindekirchenräte wurden einzeln auf staatliche Stellen zitiert und psychisch unter Druck gesetzt. Die Staatssicherheit war unser ständiger Begleiter. Das sich dadurch immens verschlechternde Verhältnis zwischen Kirche und Staat führte dazu, daß wir am Ende auch in der Kirche kaum noch auftreten durften.

War es also der Kirche angenehm, euch loszuwerden?

Die Inhalte, die wir im kirchlichen Rahmen ausgedrückt und angesprochen haben, sind in der innerkirchlichen Diskussion ebenfalls präsent – ich sage das, weil ich in der „Solidarischen Kirche“ aktiv war. Prinzipiell waren wir aber immer daran interessiert, auch im staatlichen Kulturbetrieb wieder arbeiten zu können und gesellschaftliche Probleme zu diskutieren. Wir sind aber zunehmend auf die Kirche begrenzt worden. Und damit beginnt ihr Problem.

Wir sollten doch wieder auf die Ausgangsfragestellung zurückkommen. Was sagt ihr denn dazu, daß die Kirchenvertreter, die in eurem Fall vermittelt haben, sich empört darüber äußerten, daß ihr euren Abgang als nicht freiwillig dargestellt habt.

Stephan Krawczyk: Nochmals: Wir sind nicht freiwillig gegangen. Wir hatten nur die Alternative von mehreren Jahren Knast oder die baldige Ausreise in die Bundesrepublik. Wir leiden heute auch darunter, daß unser Rechtsanwalt Schnur eine, wie es uns jetzt erscheint, etwas seltsame Rolle während des ganzen Vorgangs gespielt hat. Er hat uns über haupt nicht darüber informiert, daß es draußen eine Solidaritätsbewegung mit uns gab, sondern er hat uns immer wieder eine ziemlich aussichtslose Situation geschildert. Da wir über das Neue Deutschland (ND) die Kampagne gegen uns mitverfolgen konnten und der Vorwurf der „landesverräterischen Beziehungen“ sehr schwerwiegend ist, wurden wir durch seine Äußerungen in der Ansicht bestärkt, daß ein weiterer Kampf sinnlos gewesen wäre. Die Rufmordkampagne im ND schien uns ein klares Signal, daß ein Schauprozeß durchgezogen werden sollte. Der moralische Druck, daß nur bei einem Weggehen unsererseits auch die anderen aus dem Knast herauskommen würden, kam noch dazu.

Verstehe ich richtig, dann sagt ihr schlicht und einfach, daß das Verhalten des Rechtsanwalts entscheidend zu eurem Entschluß beigetragen hat, daß ihr den Antrag auf Ausreise gestellt habt.

Na ja, unser Rechtsanwalt war der einzige Mensch im Knast, zu dem wir Vertrauen hatten. Er war unser einziger Kontakt zur Außenwelt. Und dadurch sind natürlich unsere Stimmungen und Entscheidungen leicht zu beeinflussen gewesen. Das wäre nur durch eigene Informationen zu korrigieren gewesen, aber da hatten wir eben nur das ND mit der Hetzkampagne gegen uns.

Freya Klier: Wir waren betroffen von der fehlenden Solidarität draußen. Wenn wir die wirkliche Situation gekannt hätten, hätten wir uns ausrechnen können, daß unsere Freilassung in die DDR nur eine Frage der Zeit gewesen wäre. Denn diese Solidarität hätte uns die Kraft gegeben, auszuhalten. So erschien uns der Knastaufenthalt, während draußen das normale Leben weiterläuft, als sinnlos: Wir konnten dem ND entnehmen, daß der Staat ernst macht und wir für einige Jahre sinnlos hinter Gittern verschwinden würden. Wir haben überhaupt nicht daran gezweifelt, daß es in diese Richtung läuft.

Stephan Krawczyk: Ich habe mich natürlich immer über das Strafmaß mit dem Rechtsanwalt unterhalten und er antwortete jeweils, „na das wird sehr viel“. Also, wenn ich allein im Knast gewesen wäre, dann hätte ich gesagt, zwei Jahre, das sitzt du ab. Als Freya dann reingekommen ist, war die Situation belastender. Der Rechtsanwalt und die Stasibeamten taten ein Übriges , um Schuldgefühle in mir zu wecken.

Wie ist jetzt euer Resümee?

Freya Klier: Wir können jetzt noch kein Resümee ziehen. Denn es bleiben noch einige Fragen offen. Z.B. der Hintergund für das Verschweigen der großen Solidaritätswelle durch unseren Rechtsanwalt. Es wäre auch zu fragen, ob die sogenannte „humanitäre Lösung“ einer Entlassung in den Westen, an der verschiedene Kräfte mitgewirkt haben, zu einer tatsächlichen Entkrampfung der Situation in der DDR führt. Oder ob anstelle der „eleganten Lösungen“ nicht die Probleme endlich offen diskutiert werden sollten. Interview: Erich Rathfelder

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