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Beifall für des Künstlers Gesang

Stephan Krawczyk gab sein erstes Konzert in Hannover / Kein Pathos und kein Kerzenzündeln, statt dessen Ironie und begeistertes Lachen / „Oh Herr, schmeiß Hirn vom Himmel“  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Schwarze Vorhänge säumen die Bühne, hinter dem Mikrophon steht ein abgeschabter Stuhl, daneben Bandoneon und Gitarre und zwei schwarze Instrumentenkoffer. „Ich hatte nicht vor, schon heute in Hannover zu spielen, sondern erst in ein paar Jahren“, begrüßt Stephan Krawczyk eher schüchtern sein junges Publikum im ausverkauften Raschplatzpavillon.

Das Kulturzentrum hat er für seinen unfreiwillig vorverlegten Auftritt ausgewählt, weil ihm „dessen Ziele sehr nahestehen“ und weil solche Zentren weder in der DDR noch in der Bundesrepublik viel Geld vom Staat bekommen.

Der erste Song „Uns und einer fortgetriebenen Freundin“ bekräftigt noch einmal, daß die Abgeschobenen nicht freiwillig in die Bundesrepublik gekommen sind. Er erhält von den 600 Besuchern und einem Teil der Journalisten- Hundertschaft ruhigen, aber langen Beifall. Dann das schon bekannte Lied „Für Freya“ und das Gedicht „Die Ordnung ist ein Hungerast, an dem wir alle hängen“.

Doch dieses erste Konzert erinnerte keinesfalls an einen Gottesdienst, keine Kerze wurde angezündet, und das Pathos der Texte trieb dem jugendlichen Publikum auch nicht das Wasser in die Augen.

In dem Programm aus eigenen Gedichten und Songs und Stücken von Brecht und Biermann ging es nur zu Anfang um die Abschiebungen, der Künstler schlug bald andere Töne an. „Für mich war das größte Problem, etwas zu bringen, was die Leute im Westen auch verstehen“, kündigte Stephan Krawczyk seinen Song über das Parolensprühen, „Mutabor“, an, und das Publikum begann erstmals zu jubeln.

Mit begeisterten und befreiendem Lachen begleiteten die Zuschauer dann eine Parodie auf Goethes „Erlkönig“ und den Song „Ich hab ein zärtliches Gefühl für meinen Homecomputer“. Nur noch einige fremdklingende Ausdrücke erinnerten bei diesem Stück an die DDR, nicht mehr dem Ausgebürgerten, sondern dem Künstler Krawczyk galt jetzt der Beifall.

Der Künstler – Liedermacher will Krawczyk nicht genannt werden – stellte durch die an Brecht geschulte Art des Vortrags immer wieder Distanz her zu seinen Worten und Bildern, die sich so bedeutungsschwanger lesen.

Eine bewußt überzogene Mimik und Gestik, das rhythmisch quäkende Bandoneon, der herbe Sprechgesang, der abrupte Abbruch – all das brachte einen Schuß Ironie in die Darbietung. Kein „Herr erbarme dich unser“, wie bei dem Solidaritätsgottesdienst am Samstag abend in West- Berlin, Krawcyzks Stoßgebet heißt: „Oh Herr, schmeiß Hirn vom Himmel“. Eher ein brechtscher Schauspieler also, und wer einen inbrünstig jammernden Barden erwartet hatte, wurde jedenfalls angenehm enttäuscht.

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