: Siemens – die Prinzessin auf der Erbse
Der Oberbürgermeister von Erlangen sowie Vertreter von Siemens und KWU stellten sich der Diskussion über umstrittenen Anti-WAA-Film / Verhinderte Aufführung von „WAArum – Bomben, Business, BRD“ wurde zum Politikum ■ Aus Erlangen Bernd Siegler
Ungewohnt nervös waren sie, die Vertreter des Weltkonzerns Siemens und der Tochterfirma Kraftwerkunion (KWU), als sie am Freitag abend das Podium im Erlangener Kommunikationszentrum E-Werk erklommen. Dabei brauchten sie „im Feindesland“ keine Angst zu haben, genügend Kripo- und Staatsschutzbeamte befanden sich im Publikum. Auch Erlangens sozialdemokratischer Oberbürgermeister Dr. Dietmar Hahlweg konnte sich denken, was ihn in dem mit über 800 Zuhörern restlos überfüllten Saal erwarten sollte. Hatte doch er – selbst nach Auffassung seiner eigenen Parteigenossen – „auf Druck wirtschaftlicher und finanzieller Macht“ die Vorführung des Videostreifens mit dem unzweideutigen Titel „WAArum – Business, Bomben, BRD“ im städtischen E-Werk verhindern wollen.
Im September letzten Jahres wurde der 77minütige Anti- AKW-Streifen der „Videowerkstatt“ uraufgeführt. Schon kurze Zeit später hatte sich Siemens, größter Arbeitgeber und Gewerbesteuerzahler sowie Aushängeschild der Universitätsstadt, beim OB über „WAArum“ beschwert. Man stellte dem noch unwissenden OB auch gleich eine Kopie zur Verfügung. Danach fällte Hahlweg sein Urteil: ein „übles Machwerk“, das zudem gegen die Satzung des jährlich mit über 600.000 Mark bezuschußten Kommunikationszentrums verstoße. „Totalitäre Tendenzen“ witterte der Erlanger OB. Der Film widerspreche „dem Gedanken der Völkerverständigung“. Nach einem zweistündigen Gespräch hatte sich der E-Werk-Vorstand mit Hinweis auf die bedrohte Existenz des Hauses dem OB gebeugt und die Vorführung des Streifens am 16.Januar verboten. Der Film wurde in Erlangen zum Politikum. Die SPD rügte daraufhin ihren OB und verlangte eine öffentliche Vorführung samt Diskussion.
Die eröffnete schließlich Dr.Werner Rudloff, Bereichsleiter für Publizistik und Kommunikation bei der KWU, mit einem Beitrag über seine vielschichtige Persönlichkeit. „Als Physiker“ sehe er in dem Video „eine Reihe von Falschaussagen“, „als KWU- Beschäftigter bösartige, verleumderische Behauptungen über seine Geschäftspartner“ und schließlich „als Bürger eine massive Denunziation des Landes“, in dem er lebe. Sein Fazit: „Der Film ist ein kommunistisches Agitationsmittel.“
Erlangens OB Hahlweg wollte dem in nichts nachstehen. „In sehr geschickter Weise“ würden weitverbreitete Ängste und Sorgen der Bürger mit „abenteuerlichen und diffamierenden Behauptungen“ verknüpft. Insbesondere durch die Bezeichnung der NATO als einem „Kriegsbündnis mit dem Ziel der Vernichtung der Sowjetunion“ fühle er sich „als Bürger zutiefst betroffen“. Der OB konstatierte völlig „einseitige ideologische Verblendung“. Ein Großteil des Publikum quittierte derartige Ereiferungen mit Heiterkeit. Hier einzugreifen sei, so Hahlweg, nur seine Pflicht als OB gewesen. Problem sei nicht die Meinungsfreiheit, „sondern ob ein solches Machwerk aus öffentlichen Mitteln gefördert wird“.
Was der OB als seine Pflicht bezeichnet hatte, nannte der Vertreter der Filmemacher, Fabian Becker, „Übererfüllung der Erwartungen des Hauses Siemens“. „Die Prinzessin auf der Erbse (Siemens) hat sich in ihrer himmlischen Ruhe gestört gefühlt“, und „der Kammerdiener“ (Hahlweg) war zur Stelle. Man habe die Schnittkosten gezahlt, fügte Becker hinzu, und würde den Film genauso noch einmal machen.
KWU-Mann Rudloff glaubte dem Film gleich drei Lügen nachweisen zu können. Nicht 40, sondern „nur“ drei Arbeiter seien beim Bau eines AKW in Brasilien ums Leben gekommen, die KWU baue zudem keine Urananreicherungsanlage in Südafrika, und der Atomwaffensperrvertrag laufe nicht automatisch 1995 aus. „Er läuft nicht aus, es muß wieder neu verhandelt werden“, lautete das zugkräftige Argument des KWU- Vertreters. Siemens-Mann Arno Werner bemühte sich erst gar nicht, Argumente vorzubringen. Trotzdem war die Stimmung im Saal prächtig, als OB Hahlweg das in eine Mineralwasserflasche gesteckte Fähnlein der UdSSR auf dem Podiumstisch der Filmemacher bemerkte. „Ideologie auf längst überholter marxistischer Basis“ entfuhr es ihm. Ein solch einseitiger Film würde heute nicht einmal mehr aus der DDR kommen.
Kurz vor Ende der Diskussion dann der unvermeidliche Eklat. Aus nächster Nähe bekamen Dr.Rudloff und Arno Werner ein rohes Ei an den Kopf geworfen. Sofort war OB Hahlweg zur Stelle und zückte sein Taschentuch. Er zeigte sich bestürzt über den „feigen, hinterhältigen“ Anschlag.
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