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I N T E R V I E W Wenn dreijährige Kinder verhaftet werden

■ Der niedersächsische Grüne Hannes Kempmann zu den türkischen Kindern, die in Polizeigewahrsam genommen wurden

Hannover (taz) - Am Samstag hat der Bundesgrenzschutz am Flughafen Hannover Langenhagen sieben türkische Kinder im Alter von drei bis elf Jahren die Einreise verweigert und sie „in Polizeigewahrsam“ genommen. Die sofortige „Zurückschiebung“ der kleinen Yeziden in die Türkei hatten ihre am Flughafen wartenden Verwandten nur mit Hilfe eines Anwalts verhindert. Heute wird ein hannoverscher Haftrichter erneut über die Rechtmäßigkeit der Polizeihaft für Kinder entscheiden. taz: Du hast gestern die sieben Kinder in der Grenzschutzkaserne besucht. Hannes Kempmann: Für jedes Kind steht ein Bett zur Verfügung, es gibt auch noch einen großen kahlen Aufenthaltsraum mit etwas Spielzeug, das BGS–Beamte schnell herbeigeschafft haben. Ein Kind ist krank. Wenn nicht gerade die Verwandten zu Besuch sind, heulen die kleineren laufend. Der BGS will das ganze zwar noch einigermaßen erträglich gestalten, aber hier hat ein hannoverscher Haftrichter des Amtsgericht unter anderen ein dreijähriges Kind zu einer Woche Polizeigewahrsam verdonnert. In welchem Land gibt es das denn, daß Dreijährige verhaftet werden? Die BRD machts möglich... d. S.in Einer der Rechtsanwälte der Kinder hat von einem neuen Erlaß des Bundesinnenministeriums gesprochen, wonach jetzt bundesweit Kinder aus bestimmten Ländern an der Grenze zurückgewiesen werden. Seit Mittwoch letzter Woche gilt bundesweit eine neue „Verfahrensanordnung“, wonach alleinreisende Kinder sofort an der Grenze zurückzuweisen sind, wenn der BGS meint, daß für den Lebensunterhalt des Kindes Sozialhilfe in Anspruch genommen werden muß. Dies haben mir der BGS in Hannover und das Bundesinnenministerium bestätigt. Wie kann denn der Bundesgrenzschutz dies entscheiden? Entschieden wird von einer ständig besetzten Stelle im Bundesinnenministerium und das meist innerhalb einer halben Stunde. Wenn alleinreisende Kinder aus dem Iran oder Kurdistan ankommen, ruft der BGS vom Flughafen aus in Bonn an und die Kinder werden dann meist mit der gleichen Maschine wieder zurückgeschickt. Da können Kinder aus Istanbul über Hannover noch am gleichen Tag in Ankara wieder ankommen. Erst am Dienstag ist von Hannover aus wieder ein 13jähriges Mädchen in die Türkei zurückgeschoben worden. Ist das rechtmäßig? Selbst das Bundesinnenministerium weiß natürlich, daß das ganze von vorn bis hinten rechtswidrig ist. Kinder unter 16 brauchen kein Visum, können also ganz legal einreisen. Zwar ist es nach unserem Ausländerrecht Sozialhilfebedürftigkeit ein Ausweisungsgrund. Aber nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, muß die Sozialhilfe tatsächlich und über einen längeren Zeitraum schon gezahlt worden sein und das kann bei Kindern, die an der Grenze ankommen, nicht der Fall sein. Zimmermann geht es darum, daß in der Bundesrepublik auch Kinder keinen Schutz mehr vor Verfolgung bekommen sollen. Interview: Jürgen Voges

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