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NATO beschließt: Wir bleiben up to date

■ Der Brüsseler NATO–Gipfel fand keine qualifizierte Antwort auf Gorbatschow / Von Andreas Zumach

Zwei Tage lang tagten die Staats– und Regierungschefs der 16 NATO–Staaten in Brüssel, um endlich zu einer überzeugenden Antwort auf die Herausforderung des flexiblen Kreml–Chefs zu gelangen. Das Ergebnis spricht für sich: seitenlanges Wortgeklingel, aus dem sich jeder die passenden Versatzstücke für die „Heimatfront“ heraussuchen kann. Erfolg für Kohl - im Abschlußkommunique ist nicht von Modernisierung die Rede, sondern statt dessen von der Waffentechnik auf neuestem Stand.

„Die NATO ist die beste Allianz, die es in der Menschheitsgeschichte jemals gegeben hat.“ So hochzufrieden zeigte sich Präsident Reagan auf seiner Pressekonferenz zum Abschluß des Brüsseler NATO–Gipfels, daß er es nicht mehr für notwendig befand, Fragen aus dem Kreis der über 1.600 Journalisten zu beantworten. Das überließ er Außenminister Shultz, der aber auch nur von „dem wunderbaren Gefühl im Kreise dieser Wertegemeinschaft“ zu berichten wußte und dann ebenfalls den Saal verließ. Ähnliche Töne auch bei Kohl und Mitterand - als hätte es die Debatten und Differenzen der letzten Monate über künftige Strategie und Bewaffnung des westlichen Militärbündnisses nie gegeben. Ungetrübte Einigkeit, eine vierzigjährige Erfolgsgeschichte, die gegen großen Widerstand durchgesetzte Mittelstrecken–Stationierung und der nachfolgende INF–Vertrag sowie das unbedingte Festhalten an der nuklearen Abschreckung - diese Versatzstücke bestimmten die offiziellen Verlautbarungen und die beiden gemeinsamen Kommuniques. Letztere sind so allgemein gehalten, daß jede(r) der 16 Staats– und Regierungschefs für den innenpolitischen Hausgebrauch gut damit leben kann. „Der ganze Gipfel ist ausschließlich eine Public–Relations–Übung, um der Öffentlichkeit in Ost wie West die Einheit der Allianz zu demonstrieren und Präsident Reagan für seinen Moskaubesuch zu rüsten“, machte Thatchers Sprecher Ingham im Gespräch mit Journalisten keinerlei Hehl aus dem eigentlichen Zweck des Brüsseler Medienspektakels. Dabei war es gerade die britische Premierministerin, die die mit Kohls Washington– Besuch vor zwei Wochen mühsam hergestellte Harmonie störte. Thatchers Dissonanzen Hinter den verschlossenen Türen des abhörsicheren Sitzungssaales wie auch auf ihrer Abschlußpressekonferenz machte sie die Differenzen deutlich. Dabei geht es weniger um die grundsätzliche Richtung der NATO–Politik als vielmehr um die längst beschlossenen Aufrüstungsmaßnahmen. „Vor der Ratifizierung eines START– Abkommens und dem Abschluß von Verträgen über konventionelle und chemische Waffen gibt es überhaupt keinen Grund, Verhandlungen über den Abbau nuklearer Kurzstreckenwaffen auch nur zu beginnen“, erklärte Thatcher ihren KollegInnen und forderte „die umgehende Modernisierung entsprechend dem Montebello–Beschluß“. Das steht im direkten Gegensatz zum Beschluß der NATO–Außenminister vom Juni 87 in Reykjavik über den „Zusammenhang“ von Verhandlungen über die verschiedenen Waffengattungen. Das Abschlußkommunique wiederholt diese Formel. Auf die Frage, was „Zusammenhang“ heiße, wiederholte Thatcher auch nach Vorliegen des Abschlußkommuniques ihre Interpretation. Eine Ohrfeige für Kohl und Genscher, die für eine möglichst frühe Aufnahme von Verhandlungen über niedrigere Obergrenzen bei den nuklearen Kurzstreckenwaffen plädierten. Da ein Chemiewaffenabkommen in weite Ferne gerückt ist und die Verhandlungen über konventionelle Rüstungskontrolle noch nicht einmal begonnen haben, bedeutet Thatchers Formel eine jahrelange Verschiebung von West– Ost–Gesprächen über nukleare Kurzstreckenwaffen. Damit hat sich die britische Regierungschefin de facto durchgesetzt. Ihr gesamter Auftritt in Brüssel war Ausdruck ihrer Bemühungen, die Leadership in der Allianz von der „lahmen Ente“ Reagan zu übernehmen. Ihr Redebeitrag strotzte von feindseliger Rhetorik gegen die Sowjetunion, „deren Ziele in Europa sich seit 1945 nicht geändert“ hätten. Daß sie sich in einem zweiten Streitpunkt während dieser Gipfeltagung nicht durchsetzen konnte, wird von Kohl und Genscher zwar als Erfolg gewertet, hat aber nur kosmetische Bedeutung. Der Begriff „Modernisierung“, dernuklearen Kurzstreckenraketen, auf dem Thatcher ausdrücklich bestanden hatte, findet sich im Abschlußkommunique nicht wieder. Stattdessen ist davon die Rede, die Waffensysteme der Allianz „effektiv“ und „up to date“ zu halten, „wann und wo immer die Allianz das für notwendig hält“. „Die Worte modernisieren und up to date halten bedeuten in der deutschen Sprache genau dasselbe“, stellte Frau That cher klar. Thatcher bestätigte auf Fragen der taz auch indirekt, daß die „Modernisierung“ der Lance, deren Aufschub Kohl in Washington angeblich erreichte, längst planmäßig läuft. „Bei der in Montebello 1983 von der NATO beschlossenen Modernisierung oder up–to–date–Haltung nukleaer Waffen gibt es keine Verzögerung. Sie müssen unterscheiden zwischen den wenigen Ländern, die Atomwaffen besitzen und produzieren, und denen, in denen sie nur stationiert werden. Wir modernisieren unser Potential, die USA führen die entsprechenden Beschlüsse aus und Frankreich ebenfalls.“ Dieser Prozeß ist laut Thatcher in vollem Gange, denn: „Zur Waffenmodernisierung oder zur Einführung neuer Systeme bedarf es immer eines langen Vorlaufes. Die Trident–II–Rakete, die Großbritannien 1993/94 einführen wird, wurde 1980 in Auftrag gegeben.“ Überraschendes Gesamtkonzept Als „Grundlage der NATO für die geplanten Verhandlungen in Wien“ beschrieben Präsident Reagan und NATO–Generalsekretär Lord Carrington die am Mittwoch abend veröffentlichte Erklärung zur konventionellen Rüstungskontrolle. Mitglieder der US–Delegation, wie der heute im State Department für Europa zuständige ehemalige Berlin–Gesandte John Kornblum, sehen in dem Papier sogar „das Gesamtkonzept der Allianz, von dem die Deutschen immer so gerne reden“. Die Entwicklung eines solchen Konzeptes zu „Rüstungskontrolle und Abrüstung“ hatten die NATO–Außenminister im Juni 87 in Reykjavik beschlossen. Kornblum zur taz: „Mit der Erklärung zu konventionellen Waffen werden Sicherheitspolitik, Rüstungskontrolle und Menschenrechte miteinander verbunden.“ Wobei er einräumt, daß „die Deutschen gerne mehr von Entspannung und Abrüstung“ im Text gesehen hätten, „die USA aber eher an Aussagen zu Verteidigung und Menschenrechten interessiert“ waren. Die Verknüpfung besteht darin, daß Fortschritte bei der konventionellen Abrüstung von Menschenrechtsverbesserungen im Warschauer Pakt abhängig gemacht werden. Reden will die NATO mit Gorbatschow über die Waffen, die „zur Invasion“ befähigen. Auf Nachfrage erklärten sowohl Reagans Sprecher Fitzwater wie Lord Carrington, daß damit „Panzer und Artillerie“ gemeint seien. In diesen Bereichen gilt der Warschauer Pakt als quantitativ überlegen. Die Einbeziehung von taktischen Kampfflugzeugen, bei denen der Westen einen quantitativen wie qualitativen Vorsprung hat, schlossen beide aus. Der Zeitpunkt für den Beginn von konventionellen Rüstungskontrollverhandlungen, denen Reagen „höchste Priorität“ einräumte, hänge ausschließlich von der Bereitschaft der UdSSR ab, wurde abschließend betont.

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