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Gerangel um den Ladenschluß

■ Die Gewerkschaften HBV und DAG kämpfen für die Aufnahme der Ladenschlußzeiten in die Tarifverträge Die Mobilisierung der Verkäuferinnen ist groß / Niemand rüttelt an Bedingungen eines typischen Frauenberufs

Von Maria Neef–Uthoff

Es war an einem Freitagmorgen Anfang Februar dieses Jahres vor dem Kaufhaus Hertie in einer belebten Einkaufsstraße in Berlin. Da standen sie, die 120 Verkäuferinnen mit ihren Transparenten: „Hände weg vom Ladenschluß.“ Und auf der Brust trugen sie den roten Ansteckfuß mit der Aufschrift: „Keinen Schritt weiter“. Hier wurde warngestreikt. Ein altes Mütterchen fand das genau richtig: Streik ist immer gut, sagte sie, sonst wird die Armut noch größer. Aber es ging gar nicht um die Armut. Es ging um die von der Bundesregierung geplanten und von der FDP favorisierten Änderungen des Ladenschlußgesetzes. Vor einem Jahr hatten sich die Koalitionsparteien darauf geeinigt, einen Dienstleistungsabend einzuführen. Einmal in der Woche sollten die Geschäfte länger geöffnet haben. Dafür sollten sie an einem anderen Tag, zum Beispiel Montags vormittags, geschlossen sein. Aber was so harmlos klingt, ruft seitdem heftigen Widerspruch hervor. Die Gewerkschaften sind alles andere als begeistert. Sie fürchten, daß mit der Liberalisierung der Ladenschlußzeiten jeglicher Flexibilisierung Tür und Tor geöffnet sei. Sie haben Angst, daß das Teilzeitarbeiten überhand nimmt. Und daß es für Verkäuferinnen Zwölfstundentage geben könnte, mit einer vierstündigen Pause in der Mitte. Für die ahnungslosen Fußgänger an diesem Freitag in Berlin, die die Streikenden mit neugierigen Augen musterten, war es dann nicht mehr klar, daß es sich nur um einen einzigen Abend in der Woche handelt. In dieser Gegend ist Berlin immer noch ziemlich proletarisch, und die Passanten waren so oder so auf Seiten der Streikenden. Kein Interesse der Arbeitgeber Die Gewerkschaft Handel Banken und Versicherungen (HBV) und die Deutsche Angestellten–Gewerkschaft (DAG) haben wegen dieses einen verkaufsoffenen Abends einen solchen Widerstand aufgeboten, daß man sich ernsthaft fragt, warum sie das bei anderen Gelegenheiten nicht genauso machen. Bei der Gegenseite, den Arbeitgebern und Einzelhandelsverbänden, besteht gar kein besonderes Interesse für einen verkaufsoffenen Abend. Den Unternehmern würde das nämlich zu teuer. Mit Umsatzsteigerungen - das haben Untersuchungen ergeben - sei nicht zu rechnen. Schmunzelnd steht der Vorsitzende des Verbands der Mittel– und Großbetriebe in Berlin, Diesing, bei den Warnstreikenden. Längere Ladenschlußzeiten sind für ihn längst kein Problem mehr. Das will kein Mensch, meint er, bis halb sieben sei doch Zeit genug zum Einkaufen. Was die Gewerkschaften zum gegenwärtigen Zeitpunkt von den Unternehmen aber wollen, ist das Aufnehmen des Ladenschlusses in den Tarifvertrag. Wenn keine Verkäuferin mehr nach 18 Uhr 30 arbeiten darf, bleiben die Läden eben zu. Es sei denn, die Ladenbesitzer stellen sich persönlich hinter den Ladentisch. Diese „Gefahr“ besteht aber nur bei den Tante–Emma–Läden. Und daß die nicht plötzlich aufmachen dürfen, wenn alle anderen zumachen müssen, dafür sorgen schon die Verbände, die die Parole ausgeben: entweder alle oder keiner. Dabei wäre das eine so freundliche Variante: Kleine Läden und Familienbetriebe dürfen solange sie wollen ihr Geschäft offen halten, und die Kaufhäuser und Lebensmittelketten machen zu. Hamburger Variante Keine Verkäuferin mehr ab halb sieben. Die Kaufhäuser in Berlin haben sich inzwischen bereiterklärt, einem solchen Tarifvertrag zuzustimmen. Der Warnstreik vor dem Hertiekaufhaus kann als Erfolg verbucht werden. Ende Februar einigte man sich auch in Hamburg. Hier wurden Zeichen gesetzt. HBV und DAG vereinbarten mit dem Arbeitgeberverband des Einzelhandels, den Ladenschluß von 18 Uhr 30 in den Tarifvertrag miteinzubeziehen. Das gilt jetzt in Hamburg für alle Läden. Jeder Kleinunternehmer, der seinen Verkäuferinnen einen Arbeitsvertrag vorgelegt hat mit dem Satz: „Es gelten die allgemeinen Tarifbedingungen des Einzelhandels“, ist nun verpflichtet, die Bedingung des Dienstschlusses um 18 Uhr 30 einzuhalten. Das ist Trick siebzehn, denn damit kann die leidige „Allgemeinverbindlichkeit“ zumindest für Hamburg umgangen werden. Und für die muß nach dem Gesetz in Bonn rotes Licht gegeben werden. Denn nur wenn der tarifliche Ladenschluß für alle anderen auch gilt, ist er von Nutzen. Niemand ist so doof und unterzeichnet, wenn er nicht sicher ist, daß die verkaufsgierigen Nachbarn nicht ebenso schachmatt gesetzt sind. Die letzte Entscheidung für die Allgemeinverbindlichkeit liegt beim Arbeitsminister Blüm. Vorher muß sich ein Tarifausschuß damit befassen: Selbst wenn der „ja“ sagt, kann der Minister immer noch „nein“ sagen. Bestünde ein besonderes öffentliches Interesse für die tarifliche Festlegung des Feierabends im Einzelhandel, wäre die Allgemeinverbindlichkeit zwingend. Ist sie so aber nicht. Das öffentliche Interesse will länger einkaufen können. Und sogar die amerikanische Zentralbank hat im letzten Herbst die deutschen Politiker dazu aufgefordert, die Ladenschlußzeiten auszudehnen. Besorgt beobachten die Amerikaner die verschlossenen Geschäfte am Samstag nachmittag und am Sonntag. So könne der Konsum nicht genug gefördert werden. Aber die Kunden, die vergessen haben, ihre Milch zu kaufen, oder die keine Zeit dazu hatten, oder denen Samstag nachmittag die Katze am verhungern ist, die sind auch nicht im Interesse der amerikanischen Overprotection. Verkäuferinnen–Alltag Wie sieht es denn aber aus am Arbeitsplatz Supermarkt. Wie Oasen sind die Frucht– und Gemüsestände in der Mitte drapiert. Niemals kommt man auf die Idee, daß man sich an einem Abeitsplatz befindet. Die Menschen, die hier ein– und ausräumen, sieht man nicht. Sie stehen höchstens im Wege, unwillig schiebt man sich an ihnen vorbei. Schnell sollen sie einem den Käse verkaufen. Zickig dürfen sie nicht sein, wenn man das kleine Stück nochmal geteilt haben will und wehe, wenn eine zu langsam an der Kasse ist, dann ist die wartende Schlange so wütend, daß sie sich dauernd hin– und herschubst. Aber schlecht behandelt wird man auch. Stehen zwei bei der Wurst zusammen, hat man das Gefühl, sie reden über einen, ist man mit dem Wechselgeld beschäftigt, hört man die Kassiererin ungeduldig schnauben. Passiert dann noch eine Ungeschicklichkeit, das Geld fällt runter, kann man froh sein, daß man von ihr nicht eins auf die Finger kriegt. „Sind Sie für oder sind Sie gegen veränderte Ladenschlußzeiten?“ Ursula K. macht gerade die „Molkerei“. Sie ordnet die Joghurtbecher, stellt die Milch übereinander, achtet auf das Verfallsdatum, sortiert aus und um. Nebenbei ordnet sie noch die frisch gelieferte Ware ein. Kalte feuchte Hände bekommt sie davon. Sie arbeitet in einem Discountladen, der mit weniger Personal auskommt als ein Supermarkt. „Nein“, sagt sie, „ich bin dagegen.“ Sie ist keine Gewerkschafterin, ist nicht organisiert. Und während ich in den Joghurts wühle, gibt sie mir freudlicherweise ein paar Antworten, eigentlich darf sie sich nämlich nicht mit mir unterhalten. Sie arbeitet von viertel nach acht bis mindestens halb sieben. Mit anderthalb Stunden Pause. Um sechs macht der Laden dicht. Aber sie will keine Stunde länger bleiben. Unter der Woche ist sie nicht vor halb acht zu Hause. Das reicht, meint sie, wenn noch Kinder da sind und der Haushalt. Das einzige, was sie sich vorstellen könnte, wäre ein freier Samstag. Den hat sie jetzt nur ganz selten. Dafür würde sie schon mal einen Abend in der Woche länger arbeiten. In einem Rolliersystem könnte sie sich eine solche Regelung vorstellen. Was ist ein Rolliersystem? Jede(r) hat auf das Jahr verteilt einen anderen Dienstplan, im KaDeWe (Kaufhaus des Westens) haben sie so etwas. „Aber solange die“, sie zeigt hoch zum abgeschabten Kabüffchen, wo ihr Chef sitzt, „und die Gewerkschaften so stur sind und sich nur Entweder–Oder einfallen lassen, solange bin ich dagegen.“ In Berlin gibt es zur Zeit ungefähr 6.000 arbeitslose Verkäuferinnen. Nicht mitgerechnet die zahlreichen Familienfrauen, die sich nicht arbeitslos melden. Der Verdienst einer Verkäuferin ist sehr gering. Nach zwei bzw. drei Lehrjahren und acht Berufsjahren ist das Endgehalt erreicht: 2.152 Mark brutto. „Zweitausendeinhundertfünfzig Mark“, sagt der Marktleiter und schaut von oben herab auf seine Waren, wie beim Kaufmannsladenspiel, „das ist doch viel für eine Frau.“ „Wie bitte?“ Er entschuldigt sich: „Natürlich nur, wenn sie mitarbeitet.“ Grundlage dieses typischen Frauenberufs ist das alte Bild der unselbständigen Frau. Bisher haben die Frauen in diesem Beruf an diesem Bild festgehalten. Zu den armen Leuten sind die neuen Werte noch nicht durchgedrungen. Nach einer Studie des Bundesministeriums für Familie und Frauen aus 1985/86 werden jährlich 60.000 Frauen Verkäuferin. Mehr als zehn Prozent der 10,5 Millionen berufstätiger Frauen sind im Einzelhandel beschäftigt. Aber die würden lieber Floristin oder Tierpflegerin. Und Markt– oder Filialleiterin werden sie nicht, weil der männliche Lehrling automatisch vom Chef bevorzugt wird. Sie werden es aber auch nicht wegen des langen Arbeitstages. Denn bald will der Freund sein Recht, und eine junge Frau mit den alten Werten reagiert fast automatisch auf die Forderung: erst sorgende Pflege der anderen, dann flüchtiges Kümmern um sich selbst. Die Förderprogramme aber, die auf eine kaufmännische Lehre aufbauen, werden nach Geschäftsschluß angeboten. Beschäftigungstherapie Man sieht, die Mißstände sind zahlreich und offensichtlich: Niemand kratzt an den Bedingungen des ganzen Sytems. Die Gewerkschaften hätten die Aufgabe, sich grundsätzlich um hohe Frauenlöhne zu kümmern und den Mädchen und Frauen, die in diesem Beruf arbeiten, die Weiterbildung zu erleichtern. Und das nicht nach Maßgabe des Maßstabs Mann! Solange der Gedanke vorherrscht, Frauen bräuchten weniger Geld als Männer, machen sich die Verkäuferinnen auch selbst zu billigen Arbeitskräften. Daß diese billigen Arbeitskräfte nun gegen ein verändertes Ladenschlußgesetz protestieren, kann jedem nur recht sein. Scheint es doch eine Beschäftigungstherapie gege die schweigende Wut. In ihrer Logik liegt sie völlig richtig. Nicht noch länger am Abend arbeiten unter den gegenwärtigen Bedingungen. An die Forderungen nach anderen Bedingungen traut sich niemand heran. Das hieße nämlich für die Gewerkschaft, den Block gegen die Flexibilisierung aufzuweichen. So fordert folgerichtig die Berliner HBV von den Einzelhandelsverbänden den Ladenschluß in den Tarifvertrag nach Hamburger Muster. Ende voriger Woche und Anfang dieser Woche soll nach einer Urabstimmung in Berlin gestreikt werden. Wie es ausgehen wird mit dem Ladenschluß, weiß keiner. Bundeswirtschaftsminister Bangemann (FDP) nannte den Hamburger Vertrag wütend einen „Verweigerungsvertrag gegen gesellschaftlichen und ökonomischen Fortschritt“. Er fordert Herrn Blüm (CDU) auf, den Tarifvertrag nicht als allgemeinverbindlich zu erklären.

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