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Jeremias soll die DDR–Ausreisewilligen trösten

■ Bei einem Fürbittgottesdienst am Montag abend in Ost–Berlin fordert Bischof Forcke die Ausreisewilligen zum Bleiben und vorsichtigen Agieren auf / Den Festgenommenen drohen harte Strafen / „Es ist schade um jeden, der weggeht“

Von Katharina Schmutz

Ost–Berlin (taz) - Bischof Forck bemühte den Propheten Jeremias, um seine Botschaft unters Volk zu bringen: Suchet das Beste der Stadt. Denn wenn es ihr gut geht, geht es auch den Menschen darin gut. Und im Klartext wiederholte das Oberhaupt der evangelischen Kirche von Berlin–Brandenburg: Bleibt im Lande und verhaltet euch friedlich und still. Der Fürbittgottesdienst am Montag abend in der Ost–Berliner Gethsemane–Kirche, bei dem der Bischof predigte, bildete den Abschluß der Fürbitten, die nach den Verhaftungen von BürgerrechtlerInnen und Ausreisewilligen am 17. und 25. Januar fast jeden Abend in einer anderen Kirche stattgefunden hatten. Bischof Forck zeigte sich vor den rund 1.500 TeilnehmerInnen bestürzt über die Verhaftungen von Ausreisewilligen am vergangenen Wochenende in der ganzen DDR. Viele von ihnen seien „wegen geringfügiger Anlässe verhaftet worden“ und müßten mit drakonischen Strafen rechnen. Enttäuscht äußerte sich der Bischof darüber, daß von den Januar–Gefangenen nur zwei in die DDR entlassen worden seien, während die „anderen einen anderen Weg gewählt haben.“ Sehr eindringlich appellierte Forck an die Ausreisewilligen: „Es ist schade um jeden, der weggeht.“ Der Staat brauche mehr denn je den gesellschaftlichen, friedlichen Dialog. Und er warnte all diejenigen, die bereits ihre Anträge gestellt haben: Keine spektakulären Aktionen mehr, denn die würden „die Unruhe im Land nur noch größer machen.“ Es bleibe Aufgabe der Kirche, im Gespräch mit der Regierung verlässliche und eindeutige Regelungen zu finden. Die ZuhörerInnen quittierten die Predigt mit Schweigen. Die Anzahl der schwarzen Schafe war offenbar hoch. Bereits lange vor dem offiziellen Beginn des Gottesdienstes hatten viele Informationen ausgetauscht, wer von FreundInnen und Bekannten wo und unter welchen Umständen verhaftet worden war, wie die Nachrichtenübermittlung funktionierte, welche bürokratischen Hürden bis zum „Laufzettel“, das Sesam–Öffne–Dich für den Westen, zu überwinden seien. Der Charakter der Fürbittgottesdienste hat sich in den vergangenen Wochen deutlich verändert. Während es früher zu spontanen Diskussionsbeiträgen kam, es Aufmüpfiges und Weltliches zu hören gab, ergreifen jetzt fast nur noch die Klerikalen das Wort. Sie vertrösten, beschwichtigen, vermitteln. Im Zentrum stehen die Ausreisen und Ausbürgerungen, die mehr und mehr als humanitäres anstatt politisches Problem behandelt werden. Wie die Opposition im Land zu organisieren sei, stehe kaum mehr zur Debatte, heißt es aus Kreisen der engagierten Kirchenbasis. Mit dem letzten Fürbittgottesdienst hat sich der „Koordinationskreis“, ein regel mäßiges Treffen von VertreterInnen verschiedener Gemeinden und kirchlicher Basisgruppen aufgelöst. Doch die Arbeit soll - nach verschiedenen Schwerpunkten getrennt - weitergehen. Eine der Gruppen kündigte vorgestern bereits ein Symposium darüber an, wie sich die gesellschaftliche Verantwortung und das Mitspra cherecht innerhalb der DDR verwirklichen lassen. Drakonisches Urteil Berlin (ap) - Am Dienstag wurde aus Kirchenkreisen bekannt, daß der Herausgeber der Untergrundzeitschrift Leichen–Verbrenner, Andre Theile, in der vergangenen Woche zu einem Jahr Haft verurteilt wurde. Schon am 27. Februar wären in Jena eine Ausreisedemonstration gewaltsam aufgelöst und rund 200 Menschen vorübergehend festgenommen worden, hieß es weiter. Zwei der Demonstranten müßten sich demnächst vor Gericht verantworten. Rund 50 weiteren drohten Ordnungsstrafen bis zu 1.000 M.

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