Späth siegt, Rechtsradikale gewinnen

■ Die Wahl in Baden–Württemberg bescherte nur den rechtsradikalen Kleinparteien Stimmenzuwächse

Bereits eine Stunde nach Schließung der Wahllokale war in Stuttgart alles gelaufen. Trotz Verlusten von fast drei Prozent bleibt Späth unangefochten Ministerpräsident. Ganz lange Gesichter bei FDP und SPD, deren beide Spitzenkandidaten sich zu ihrer persönlichen Zukunft nicht erklären wollten. Die eigentlichen Gewinner waren im Landtag gar nicht zugegen: Die NPD holte 100.000 Stimmen, Gruhls rechte Ökologen 1,4 Prozent, und selbst die Republikaner brachten es auf knapp ein Prozent.

Die Kulisse für den Abend zum Abschluß der baden–württembergischen Landtagswahl war mit Bedacht gewählt. Das neue Schloß im Herzen Stuttgarts strahlte selten in solchem Glanz. 1.600 geladene Gäste, darunter mehr als 500 Journalisten, flanieren am Sonntagabend unter den riesigen Kristallüstern durch Freitreppen und Säle. Ein paar hundert Flaschen Württemberger Wein sind entkorkt, durch die erregt transpirierende Menschenmenge zwängen sich Kellnerinnen mit Häppchen und Saitenwürstchen. Wie zu einer Elektronikmesse haben sich zahllose Fernseh– und Rundfunkanstalten aufgebaut. Noch kurz vor 18 Uhr werden die letzten Prognosen von ARD und ZDF bekannt, dann übernehmen Infas– Computer das Zepter. Schon um 18.17 Uhr war fast alles vorbei. Saitenwürstchen und Brezeln noch in den Backen, brach bei der CDU Jubel aus, FDP–Landeschef Walter Döring wechselte schlagartig die Gesichtsfarbe, knurrig und rastlos reagierten sozialdemokratische Spitzenpolitiker. Kurz darauf jubelnder Lärm aus der Nische hinter jutebespannten Stellwänden - „ein Bombenerfolg“, wiederholte sich ständig der grüne Spitzenkandidat Rezzo Schlauch. Unten, vor dem Schloßportal, gelang es den Polizeiposten kaum mehr, die neugierigen Volksmassen fernzuhalten. Was viele befürchtet und Realisten vorausgesagt hatten, war passiert, Ministerpräsident Lothar Späth und seine CDU behalten trotz drei Prozent Stimmenverlusten die absolute Mehrheit der Landtagsmandate. Stimmenverluste auch bei allen anderen Landtagsparteien, am wenigsten noch bei den Grünen. Gewinner, wenn sie auch ohne Mandat blieben, die Rechtsradikalen. 2,1 Prozent für die NPD, eines für die Republikaner, die konservativen Ökologen der ÖDP kamen auf 1,4 Prozent. Wo auch aus den Reihen der CDU, noch vor der ersten Hochrechnung, Zweckoptimismus verbreitet wurde, wo der Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel eigens mit schwarzem Hemd und roter Kravatte erschienen war, um gegebenenfalls aus dem Stand einer großen Koalition zu huldigen, da hat jetzt plötzlich schon jeder gewußt, daß die Macht der baden–württembergischen Christdemokraten erhalten bliebe. Die Hochrechnungen des Abends bringen nur noch geringe Veränderungen. 49,1 Prozent für die CDU, 32 für die Sozialdemokraten, 7,9 den Grünen und ganz magere 5,9 Punkte für die FDP, so das amtliche Endergebnis. Die Stimmung in der FDP–Nische ist hilflos und gereizt. Jürgen Morlock der frühere Stuttgarter Fraktionsvorsitzende will das Dilemma schon lange geahnt haben. An den FDP–Wahlständen, so eine Wahlhelferin, sei nicht mehr über die FDP, sondern über Rechtsradikale diskutiert worden. Der Bonner Generalsekretär Haussmann kämpft sich wortlos und wütend durch höhnisch lachendes Menschengewühl. Nicht besser ist die Stimmung bei den Sozialdemokraten. Der Bundestagsabgeordnete Peter Conradi versteht überhaupt nicht, weshalb Parteifreund Spöri sogar noch Stimmen verloren hat. Landtagsabgeordneter Frieder Birzele hatte sich in seinem Göppinger Wahlkreis ebenfalls mit den Rechten herumschlagen müssen und vermutet gar, daß die selbst der SPD Stimmen abgenommen haben. Einzig der Juso–Bundesvorsitzende Michael Guggenmoos versucht es mit einer kritischen Analyse: „Fußballwahlkampf“ nennt er den forschen Auftritt der SPD–Spitzenkandidaten Spöri und Maurer. Die SPD–Basis, so Guggenmoss, sei desolat und lasch geblieben. Was der postulierte „Neue Fortschritt“ sei und welchen Vorteil er den Menschen bringe, habe die Partei nicht vermitteln können. Ab acht Uhr abends wird es noch einmal spannend im neuen Stuttgarter Schloß, jetzt kommen die ersten Auszählungen der einzelnen Wahlkreise auf die Bildschirme. Die persönlichen Dramen, ob das Mandat erhalten bleibt oder nicht, beginnen. Einer der tragischen Verlierer ist der Tübinger FDP–Kandidat Hinrich Enderlein. Seit 16 Jahren sitzt der Berufspolitiker und ehemals Rechts–Liberale im Stuttgarter Landtag. Daß er seinen Posten gerade an den großen Verlierer der Wahl, seinen Parteivorsitzenden Walter Döring, verlor, muß besonders hart sein. Mit zehn Abgeordneten sitzen die baden–württembergischen Grünen zukünftig im Stuttgarter Landtag. Die pragmatisch orientierte Politik sei es gewesen, meint deren früherer Fraktionssprecher Fritz Kuhn, und das starke Gewicht, das man beim Wahlkampf auf den ländlichen Raum gelegt habe. Dietrich Willier