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Nachspiel für Ex–Hausbesetzer

■ Prozesse vor Bochumer Schöffengericht über Widerstand der Ex–BesetzerInnen des Bochumer Heusner–Viertels / Angeklagte fanden milde Richter

Aus Bochum Anne Weber

„Wir haben es bis zum Exzess zugelassen, daß da einer stellvertretend für uns alle verknackt wird.“ Derart beklagten ehemalige Be setzerInnen des Heusner–Viertels in einer Bochumer Szenezeitung ihr eigenes unsolidarisches Verhalten. Gegenstand der Selbstkritik ist ihr konformes Verhalten in einem Saal des Bochumer Amtsgerichts. Dort war am 1.Februar dieses Jahres ein ehemaliger Besetzer wegen Körperverletzung und Widerstand gegen die Staatsgewalt zu neun Monaten auf Bewährung und 300 Mark Geldstrafe verurteilt worden. Der Angeklagte ist einer von etwa acht Personen, die sich vor zwei Jahren gegen einen massiven Polizeieinsatz im Heusner–Viertel zur Wehr gesetzt hatten. Am 21.3.86 waren in der Siedlung Polizisten als Landvermesser verkleidet aufgetreten, provozierten die BesetzerInnen und setzten Tränengas ein. Es kam zu verbalen Auseinandersetzungen und Schlägereien. Am vergangenen Mittwoch fanden nun vor dem Bochumer Schöffengericht erneut drei Prozesse gegen BesetzerInnen statt. Die Ex–BesetzerInnen hatten sich diesmal nonkonformes Verhalten im Gerichtsaal vorgenommen. Sie weigerten sich vor dem „Onkel Richter“ aufzustehen, so daß dieser gleich zu Verhandlungsbeginn den Saal wegen ungesetzlichen Benehmens räumen ließ. Das vom Flur nachgerückte Publikum beschränkte sich anschließend auf Solidaritätsbekundungen wie Gekicher, Würggeräusche und Gemurmel. Angeklagt in der ersten Verhandlung war Andreas S. wegen Gewaltanwendung gegen einen Polizisten. Der Polizist, als Zeuge geladen, widersprach seinen eigenen Aussagen von 1986 und bekannte, daß Andreas S. ihm lediglich Gewalt angedroht hätte. Das Gericht unterließ es, der Aussage des Angeklagten, er habe niemanden verbal bedroht, nachzugehen. Der Richter schlug ihm eine Geldstrafe von 500 Mark vor, die S. mit dem Hinweis, daß er „sowieso keine wirkliche Gerechtigkeit erwarte“, annahm. Die zweite Verhandlung an diesem Tag endete mit einem ähnlichen Ergebnis. Der Angeklagte wurde zu 300 Mark Geldstrafe verurteilt, trotz der belastenden Aussage eines Polizisten, er sei von ihm mit einem Stock geschlagen worden. Die dritte Verhandlung wegen gleicher Delikte sollte auf Vorschlag des Richters auch mit der Verhängung einer Geldstrafe ausgehen, aber die Staatsanwaltschaft beantragte weitere Untersuchungen. Der Prozeß wurde daraufhin vertagt. Insgesamt hatte die Bochumer Gerichtsbarkeit in allen drei Verhandlungen im Vergleich zu dem Prozeß vom 1.2.88 relativ milde reagiert. Die Richter verzichteten darauf, weitere Exempel zu statuieren. Über ihre Beweggründe läßt sich spekulieren: Es mag von Bedeutung sein, daß das Hausbesetzerproblem schlicht und einfach keines mehr ist. Seit Ende 1986 ist das Heusner–Viertel vollständig geräumt und abgerissen.

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