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Mirage–Absturz nahe Ohu I: Sekunden am GAU vorbei

■ Fast–Tschernobyl durch Absturz im AKW–Dreieck OHU–Niederaichbach / Reaktorkuppeln hätten dem Aufprall nicht standgehalten und das Hundertfache der Tschernobyl–Radioaktivität freisetzen können /

Von Vera Gaserow

Berlin (taz/dpa) - Nur um wenige Sekunden sind am Mittwoch die Bundesrepublik und ihre Nachbarländer einer atomaren Katastrophe entkommen, als 1.500 Meter von den Atomkraftwerken Niederaichbach, Ohu I und II entfernt ein französisches Mirage–Kampflugzeug abstürzte. Die mehr als 10.000 Kilogramm schwere Mirage war bei einem „völlig routinemäßigen Tiefflug“ nach einer Kollision mit einem anderen Jagdbomber in ein hügeliges Waldstück in Sichtweite der drei Landshuter Atomanlagen gerast. Bei einer durchschnittlichen Manövergeschwindigkeit von 1.000 Kilometern in der Stunde lag die Absturzstelle der von Hand gesteuerten Maschine nur fünf Flugsekunden von den Reaktorgebäuden der AKWs entfernt. Entgegen allen offiziellen Verlautbarungen des gestrigen Tages sind das inzwischen zum Abriß bestimmte AKW Niederaichbach und der Reaktor Ohu I baulich nicht gegen Flugzeugabstürze von Düsenjägern gesichert. Wäre die Militärmaschine mit voller Wucht gegen die Reaktorkuppel des AKW Ohu I geprallt, wäre sie nach Einschätzung des Reaktorsicherheitsexperten des Darmstädter Öko–Instituts, Michael Sailer, „voll durchgeknallt“. Dabei hätte sie mit einiger Sicherheit den Reaktorkessel getroffen und dann, so Sailer, „hätte man nur noch rennen können“. In einem solchen Fall, so der Sprecher des Landshuter Bürgerforums gegen Atomanlagen, Thomas von Taeffenbach, „wäre die hundertfache Menge der Radioaktivität von Tschernobyl freigesetzt worden. Wir sind knapp einem Super–Gau entkommen.“ Währenddessen erklärte das bayerische Innenministerium, es habe „zu keinem Zeitpunkt“ eine atomare Gefahr bestanden und das Bayernwerk München, das zu insgesamt 50 Prozent an den AKWs Ohu I und II beteiligt ist, beschränkte sich auf die Feststellung: „Da war überhaupt nichts.“ Das „Nichts“ ereignete sich gestern morgen um 9.20 über der Gemeinde Niederaichbach. Nach Angaben von Augenzeugen war die Unglücksmaschine im Verband mit drei anderen Düsenjägern geflogen, die offenbar den Luftkampf gegeneinander probten. Plötzlich sei eine Mirage ausgeschert und abgestürzt. Das französische Verteidigungsministerium sprach dagegen nur von einer Kollision zweier Maschinen, wobei die eine wohlbehalten zum Ausgangsflughafen Straßburg zurückgekehrt sei. Der Pilot der Unglücksmaschine sei bei dem Absturz ums Leben gekommen. Nach Angaben des Bonner Verteidigungsministeriums hatte die Mirage keinerlei Munition an Bord gehabt, dennoch wurde die Absturzstelle großräumig zum militärischen Sperrgebiet erklärt. Bürger aus der Gemeinde Niederaichbach meinten gestern auch, im Funkverkehr der Feuerwehr eine Warnung vor radioaktiver Strahlung gehört zu haben. Der gestrige Flugzeugabsturz ist der bisher dramatischste Beinahe–Gau in einem deutschen Atomkraftwerk. Vor zehn Jahren war in acht Kilometer Entfernung des Fortsetzung Seite 2 Fortsetzung Seite 4

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