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Rheinhausen längst gestorben

■ Krupp–Stahl–Chef Cromme schon im Januar: Freie Hand von der Landesregierung für die Schließung des Stahlwerks / taz druckt Abschrift von Telefonaten Crommes mit seinen Chef–Kollegen / In Bochum scheiterten gestern Verhandlungen

Von Walter Jakobs

Bochum, Düsseldorf (taz) - Gestern morgen in Bochum: Rund 1.500 Stahlarbeiter aus dem von Schließung bedrohten Stahlwerk Rheinhausen belagern das verschlossene Verwaltungsgebäude der Krupp–Stahl–AG. Die Eingangstür ist mit Ketten gegen Eindringlinge gesichert. Innen verhandelt der Vorstand des Stahlkonzerns mit dem Rheinhausener Betriebsrat über dessen Alternativkonzept zur Rettung des Stahlwerks. Als einige der Wartenden die Tür aufbrechen und zum Verhandlungssaal vordringen, ist die Sitzung gerade unterbochen. Weder die Betriebsräte noch die wartenden Stahlwerker wissen zu diesem Zeitpunkt, daß die Entscheidung über ihr Schicksal längst gefallen ist. Auch schon Wochen, bevor dann gestern Nachmittag in Bochum das Scheitern der jüngsten Gesprächsrunde bekanntgegeben wird. Laut Krupp–Stahl–Chef Dr. Gerhard Cromme wird der Krupp– Vorstand keinesfalls von seiner Schließungsabsicht abrücken. Und die NRW–Landesregierung hat laut Cromme die Rheinhausener Stahlwerker entgegen ihren immer wiederholten Beteuerungen spätestens im Januar dieses Jahres fallenlassen. In einer der taz zugespielten Abschrift eines Telefongesprächs zwischen Cromme und dem Thyssen–Stahlchef Kriwet vom 8.Januar dieses Jahres heißt es über ein Gespräch Crommes mit Vertre tern der Düsseldorfer Landesregierung vom Vortage: „...und die Meinung war dort - aber so können wir es natürlich nicht bringen - ja, macht es möglichst schnell, denn dann ist das Thema gelöst usw., und der Krach ist weg“. Fortsetzung auf Seite 2 Tagesthema Seite 3 Kommentar auf Seite 4 Für die Landesregierung haben an dem Gespräch laut Cromme unter anderen Ministerpräsident Rau, Wirtschaftsminister Reimut Jochimsen und Arbeitsminister Hermann Heinemann sowie für die SPD–Fraktion deren Chef Friedhelm Farthmann teilgenommen. Die Abschrift von zwei Gesprächen Crommes, deren Existenz seit einiger Zeit unter Journalisten bekannt ist, birgt vor allem für die NRW–Landesregierung hochexplosiven Sprengstoff. Denn die Düsseldorfer Regierung hat den Stahlmanagern nach Crommes Darstellung offenbar einen Freibrief gegeben, die Schließung Rheinhausens möglichst schnell durchzuziehen. Aber auch für den Arbeitsdirektor von Krupp–Stahl, Karl Meyerwisch, dürfte unangenehm sein, daß seine Kumpanei mit dem Management, die Absprache über möglichst effektive Befriedungsstrategien, offengelegt wird. „Die werden nicht begeistert sein“, meinte er über die kämpfenden Stahlarbeiter, „wenn wir da die Kampfkraft brechen.“ Wenn Crommes Schilderungen über den Gesprächsverlauf am 7. Januar zutreffen, müßte sich die Rau–Regierung eine monatelange Irreführung der Öffentlichkeit vorhalten lassen. Immer wieder hatten führende SPD–Politiker bei ihren zahlreichen Besuchen in Rheinhausen erklärt, alles tun zu wollen, um den Stahlstandort zu retten. Als einer der ersten war Ministerpräsident Johannes Rau am 2. Dezember 1987 zu den Stahlkochern geeilt und hatte behauptet: „Ich haben ihnen (den beteiligten Stahl–Managern/ d.Red.) ganz deutlich gemacht, daß die Politik der Landesregierung hier in Nordrhein–Westfalen nicht hinnimmt, daß der Stahlstandort Rheinhausen aufgegeben wird, und daß wir alles, was wir tun können, tun, um Druck zu machen.“ SPD–Parteichef Vogel gelobte bei seinen Auftritten in Rheinhausen regelmäßig, sich für den Erhalt aller Stahlstandorte einzusetzen. Noch am Tage des Gesprächs zwischen Krupp–Management und NRW–Landesre gierung, am 7. Januar ermunterte er den Betriebsrat. Und der Landesgeschäftsführer der SPD, Bodo Hombach, kabelte voller Pathos: „Eine SPD, die auch nur eine Sekunde Eure Interessen vergißt, ist es nicht wert zu existieren.“ Von der taz am Donnerstag befragt, verweigerte die Landesregierung jede Stellungnahme. Die Äußerungen Crommes seien bisher, so ein Sprecher, nirgendwo dokumentiert. Die taz dokumentiert sie auf der Seite 3. Die Verhandlungen in Bochum wurden gestern gegen 13 Uhr abgebrochen. Das Scheitern begründete der Rheinhausener Betriebsratsvorsitzende Manfred Bruckschen so: „Der Krupp–Vorstand war nicht bereit, von seinem Stillegungsbeschluß abzurücken. Al les, was demnächst passieren wird, hat der Vorstand zu verantworten.“ Am 2.5. soll im Aufsichtsrat der Krupp–Stahl AG die Entscheidung fallen. Schon in der nächsten Woche, am 12.4., werden die Aufsichtsratsmitglieder über die Pläne unterrichtet. Bis dahin wird in Rheinhausen gestreikt. Noch für den Nachmittag wurde in Rheinhausen eine Belegschaftsversammlung einberufen. In den Verhandlungen hatte der Krupp– Vorstand eine gewisse Streckung der Stillegung angeboten. Zwar sollte das Walzwerk zum Ende des Jahres 88 geschlossen werden, aber bis zum 30. Juni 89 sollte dann mit zwei Hochöfen die Brammenproduktion weiterlaufen. Ab 1.7. 89, so das Vorstandsangebot weiter, könnte im Werk für „einen begrenzten Zeitraum ein Ein–Hochofenmodell bestehen bleiben“. Ein Auslaufmodell, über das, so der Vorstandssprecher Berg selbstsicher, die Beschlußfassung „am 2. Mai erfolgt“. Die gemeinsame Hüttengesellschaft zwischen Mannesmann und Krupp soll am 1. Juli 1988 erfolgen. Von der derzeitigen Belegschaft, so der Krupp–Vorstand, würden 2.150 Beschäftigte in die neue Gesellschaft übernommen. 700 würden in Rheinhausen verbleiben, 1.000 sollen über frühzeitige Pensionierung ausscheiden, 200 zu Thyssen wechseln, 500 bei Bayer unterkommen, 400 von anderen Werken der Krupp–Stahl AG übernommen werden. Die restlichen 250 hofft Krupp per Abfindung loszuwerden.

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