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„Nicht aus Verzweiflung kämpfen“

■ „Abu Jihad“ gab wenig Wochen vor seinem Tod einer libanesischen Tageszeitung ein Interview, in dem er zum Aufstand in den besetzten Gebieten Stellung nimmt

Die libanesische linke Tageszeitung As–Safir veröffentlichte vor einigen Wochen eine Reihe von Interviews mit hochrangigen Führern verschiedener palästinensischer Organisationen. Bezugspunkt der Fragen war die Intifada, der Aufstand in den besetzten Gebieten. As–Safir fragte auch „Abu Jihad“, den starken Mann der al–Fatah. Die taz gibt das Interview in gekürzter Fassung wieder. As–Safir: Was bedeutet die Intifada für den nationalen Kampf der Palästinenser? Ist es nur eine Protestbewegung, oder hat der Aufstand strategische Implikationen für den Befreiungskampf? Welche Fragen wirft der Aufstand auf in bezug auf a)israelische PLäne über die Zukunft Palästinas und b) die zionistische Besiedlung der Westbank und des Gaza–Streifens? „Abu Jihad“: Zunächst muß hervorgehoben werden, daß die Intifada nicht vom Himmel fiel und auch nicht überraschend daherkam. Der Aufstand ist die neueste Folge einer Reihe von Kämpfen unseres Volkes im Innern und im Exil, die sich gegenseitg beeinflussen. Ich erinnere an die monatelangen Auseinandersetzungen und Streiks, die im Oktober 1986 in den besetzten Gebieten begannen. Nach israelischen Angaben gab es dort 1987 mehr als 1.200 Demonstrationen und Streiks. Doch der jetzige Aufstand in den besetzten Gebieten ist im Vergleich weitreichender, umfangreicher, folgenreicher in jeder Beziehung und erleidet mehr Gewalt als zuvor. Dieser Kampf ist mehr als bloße Empörung über die Gewalt der Besatzung. Er ist der Inbegriff der Entschlossenheit und Würde jedes Einzelnen und des ganzen Volkes. Es ist ein revolutionärer Aufstand, in dem das ganze Volk seine Kraft einsetzt, seine Wunden erduldet und seinen Willen bekundet, den täglichen Kampf fortzusetzen, bis ein Großteil der Ziele errungen ist. Die Intifada unterscheidet sich von den vorhergehenden Kämpfen besonders auch dadurch, daß sich heute wirklich alle Teile des palästinensischen Volkes daran beteiligen. Nicht mehr nur Studenten und Schüler. Kinder, Alte, Frauen, Intellektuelle und Arbeiter genauso wie Kaufleute und Beamte bauen Barrikaden, werfen Steine, organisieren den Rückzug, versorgen Verwundete und ermöglichen die Fortsetzung des Streiks. Und mit welchem Mut! Die Furcht vor den Gewehren der Besatzer ist gebrochen: Die Jugendlichen stellen sich vor die Mündungen der Maschienpistolen und rufen den Soldaten zu: „Schieß doch, du Feigling.“ Ein weiterer Aspekt ist der Zusammenschluß der Kräfte aus den besetzten Gebieten und aus dem 1948 besetzten Palästina. Es gibt keine Grenzen mehr zwischen den einzelnen Teilen des Volkes. Warum und wofür kämpfen unsere Leute? Nicht die Verzweiflung bewegt sie, sondern die genaue Kenntnis ihrer Situation. Sie haben eine präzise Vorstellung von den Bedingungen und den Zielen ihres Kampfes, sie kennen die Besatzer sehr gut. Und ihr Ziel ist die Befreiung aus der Unterwerfung. Deshalb ist die Intifada eine revolutionäre Bewegung. Sie wird die zionistische Besiedlung unmöglich machen und öffnet die Tür für ein freies Vaterland. Die Aufständischen haben eine neue Parole in den Vordergrund gebracht, nämlich ein unabhängiges Palästina auf einem Teil der palästinensischen Erde. Widerspricht diese Parole der anderen von der Befreiung ganz Palästinas? Nach den Beschlüssen des palästinensischen Nationalrats ist es das Recht der Palästinenser, auf jedem Stück ihrer Erde den Anfang zu machen mit der Befreiung des ganzen Landes. Die konkreten Forderungen der Intifada sind: Schluß mit der Besatzung, Schluß mit den Siedlungen, Schluß mit der Unterdrückung und Verarmung. Wieso sollten diese Ziele nicht mit dem generellen Ziel der Befreiung übereinstimmen? Übersetzung: Thomas Reuter PORTRÄT

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