piwik no script img

Abrüsten, abschalten, aussteigen

■ „Richter und Staatsanwälte für den Frieden“ trafen sich am Wochenende in Schwandorf / Die über 400 JuristInnen fordern in einer „Schwandorfer Erklärung“ den Ausstieg aus der Atomenergie

Aus Schwandorf Wolfgang Gast

Nach Ärzten, Apothekern und Architekten wollen nun auch die Richter und Staatsanwälte „ihren spezifischen Sachverstand in die Friedensbewegung einbringen“. Am Wochenende trafen sich JuristInnen zum „Forum der Richter und Staatsanwälte für den Frieden“ in Schwandorf. Der Kreis der „Kritischen“, der unter diesen etwa 20.000 Staatsbediensteten im Bundesgebiet mittlerweile über 1.000 Anhänger zählt, gründete sich 1980 mit der Gruppe „Richterratschlag“, damals waren es ganze sieben Personen. Und vor einigen Jahren wäre es noch unvorstellbar gewesen, daß sich - wie jetzt im Januar - 554 Richter und Richterinnen in einer Anzeige in der Zeit öffentlich mit den „Mutlanger Blockade–Richtern“ solidarisieren. 1983 veranstalteten die kritischen JuristInnen ein erstes Fo rum zur Raketenstationierung, 1985 folgte ein zweites in Kassel zu den Zusammenhängen zwischen Aufrüstung und Militarisierung der Gesellschaft. „Der Bauzaun ist zum Symbol für den Spaltprozeß geworden, den die Entscheidung für eine WAA in unserer Gesellschaft ausgelöst hat“ (Amtsrichterin Sophie von Ballestrem). Zu der Tagung mit dem Thema „Atomwirtschaft und Frieden“ waren hochkarätige Referenten geladen. Hans–Peter Dürr, Professor des Max–Planck–Instituts für Physik in München und Träger des Alternativen Nobelpreises 1987, entwirft Szenarien einer Industriegesellschaft ohne Kernenergie, der stellvertretende Landrat in Schwandorf und SPD–Landtagsabgeordnete Dietmar Zierer berichtet über seine und erschreckenden Erfahrungen mit der WAA–Justiz. Der Darmstädter Professor Alexander Roß nagel kommt in seinem Referat zu dem Ergebnis, die Nutzung der Atomenergie führe zu der „fatalen Alternative: Freiheit oder Sicherheit“, sie enthalte „einen Sachzwang zur Einschränkung von Grundrechten“. In der Arbeitsgruppe „Atomwirtschaft und innerer Frieden“ kommt Professor Roland Scholz, Vorstandsmitglied der Internationalen Ärztevereinigung, zu dem Schluß, daß die den hiesigen Genehmigungsverfahren zugrundeliegenden Werte der Strahlenschutzverordnung anhand von Studien über die Atombombenopfer in Nagasaki und Hiroshima ermittelt wurden. Die Autoren der US–amerikanischen Studien hätten aber das Risiko der Niedrigstrahlung verharmlost. Eine zweite Arbeitsgruppe über die Zusammenmhänge zwischen Atomwirtschaft und äußerem Frieden, an der unter anderem der SPD– Bundestagsabgeordnete Wolfgang Roth, der Darmstädter Professor Kankeleit und der Physiker Helmut Hirsch teilnehmen, kommt zu dem Ergebnis, daß „seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre Bestrebungen erkennbar sind, der Bundesrepublik eine militärische nukleare Option offenzuhalten“. Mit überwältigender Mehrheit wurde die 17seitige „Schwandorfer Erklärung“ verabschiedet. Die „Richter und Staatsanwälte für den Frieden“ resümieren darin: „Der hemmungslose Einsatz großtechnischer Einrichtungen schafft Unfrieden in allen Lebens– und Gesellschaftsbereichen. Konflikte in teils bürgerkriegsähnlichen Formen lassen den Rechtsstaat ins Wanken geraten. Wir Richter und Staatsanwälte forden zwei Jahre nach Tschernobyl: Abrüsten, abschalten, aussteigen!“ Das Treffen ging gestern mit einem Spaziergang zum Bauzaun der WAA zu Ende.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen