Genossenschaften sollen das Geschäft beleben

■ Deputierte des Obersten Sowjet zwingen Finanzminister, seinen Vorschlag zurückzuziehen und die Steuerprogression für Genossenschaftler abzumildern

Berlin (afp/rtr/taz) - Das Gesetz über das Genossenschaftswesen wurde gestern doch noch einstimmig vom Obersten Sowjet, dem Parlament der Sowjetunion, angenommen. Während früher jedes von der Regierung vorgelegte Gesetz ohne Diskussion von den Deputierten einstimmig beschlossen worden war, kam es am Mittwoch zu einer Sensation: der Entwurf wurde nach lebhaften Diskussionen und zahlreichen Änderungsanträgen an die Ausschüsse zur Neuberatung zurückverwiesen. Bis Donnerstag mittag wurden dann 42 von insgesamt 50 Artikeln abgeändert und in der neuen Fassung von den Deputierten angenommen. Das so wjetische Fernsehen zeichnete die Abstimmung über das Gesetz, das am 1. Juli in Kraft tritt, in einer Direktübertragung auf. Genossenschaften - vom Schönheitssalon bis zur Schreinerwerkstatt - sind damit künftig den staatlichen Betrieben gleichgestellt. Sie sollen ohne Preisbindung konkurrieren und für ein besseres Angebot an Waren und Dienstleistungen sorgen. Den Genossenschaften wird es auch erlaubt sein, sich an ausländische Märkte zu wenden und joint ventures zu bilden. Die Debatte im Obersten Sowjet drehte sich vor allem um die Besteuerung von Genossenschaftsgewinnen und den Handlungsspielraum, den die örtlichen Verwaltungen dabei haben sollen. Die Änderungen des Gesetzentwurfes zielten darauf ab, die Kooperativen vor unbegründeter Einmischung durch lokale Behörden zu schützen. In den Zusätzen wird den untergeordneten Behörden jetzt sogar der Spielraum zugebilligt, jenen Genossenschaften Steuervorteile einzuräumen, deren Produkte oder Dienstleistungen besonders gefragt sind. Außerdem verwehrt das Gesetz dem Staat den Zugriff auf das Genossenschaftsvermögen. Indem das Gesetz in seiner ursprünglichen Fassung progressive Steuern ... Fortsetzung auf Seite 2 auf die persönlichen Einkünfte der Genossenschaftsmitglieder festsetzte, die bei Spitzenverdiensten bis zu 90 Prozent betragen sollten, sahen einige Abgeordnete die gesamte Reform verwässert. Abgeordnete kritisierten, damit werde die angestrebte Eigeninitiative im Keim erstickt, weil nur wenige Menschen den Staatssektor mit seinem gesicherten Einkommen verlassen würden, wenn sie in den Genossenschaften nicht deutlich mehr verdienen könnten. Künftig soll nach den Vorstellungen der Parlamentarier die Einkommensgrenze angehoben werden, ab der die Genossenschafter steuerpflichtig werden. Jetzt ist der Regierung vorgeschrieben, wie sie die umstrittende Steuerverordnung zu verändern hat. Mit anderen Änderungen räumten die Abgeordneten den Kooperativen auch das Recht ein, selbst Häuser, Straßen und Gemeinschaftsräume zu bauen. Ein Parlamentsmitarbeiter berichtete, die Ausschußberatungen seien äußerst stürmisch verlaufen. Finanzminister Boris Gostew, der den Gesetzesentwurf gefertigt hatte, sei kaum zu Wort gekommen, und auch die herbeizitierten Politbüro–Mitglieder Viktor Nikonom und Georgi Rasumowski hätten fast nur schweigend zugehört. Gorbatschow selbst saß bei der abschließenden Abstimmung auf dem Podium. er