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: Strawberry Fields Forever...

■ "Sgt. Pepper's: Es war vor zwanzig Jahren"

S T A N D B I L D

Strawberry Fields Forever...

(„Sgt. Pepper's: Es war vor zwanzig Jahren“, Sonntag, Nord III, 20.15 Uhr) Mag sein, daß Tausende von zehn- bis fünfzehnjährigen Kids am Sonntagabend vor der Glotze saßen und das alles zum ersten Mal sahen: Hippies, Flower Power, Open Air-Konzerte, Drogen und Yogis (obwohl Jugendliche in aller Regel Besseres zu tun haben, als sich für die abgestandenen Sachen ihrer Eltern zu interessieren). Wahrscheinlich waren es auch eher die Eltern, die sich diese heimelige Dokumentation über ihre Jugend in den Sechzigern mit sentimentalen Gefühlen anschauten.

Es sollte um einen Meilenstein der Popmusik gehen, das Sgt. Pepper-Album der Beatles, oder, wie der leger gekleidete Ansager mit strahlenden Augen sagte, „um die musikalische Visitenkarten einer ganzen Generation“. Und wirklich, so wie man sich das alles immer vorstellt, wurde es hier noch einmal aufgekocht: der alte schöne Mythos von Rock und Revolution. Politische Aktivisten - vergrämt, selbstgerecht und besserwisserisch wie immer - reden über das böse Amerika und die Jugend, die aussteigen will. Happenings und Vietnam-Demonstrationen, Love-Ins und Freak-Outs, vermischt mit so interessanten Aspekten wie Coverdesign und Tonabmischung von Sgt. Pepper. Ein Professor, der die Melodien von „She's leaving home“ erläutert, und Timothy Leary, der „turn out, tune in, drop up“ fordert. Zwischendurch alle Größen der Popgeschichte, von den Stones bis zu Ravi Shankar, im Fernsehstudio oder live. Alle wollten immer nur das Beste.

Dabei hätte man es dann belassen können, wenn es nicht eine Sendung über 20 Jahre Sgt. Pepper gewesen wäre: jenes „beste Pop-Album aller Zeiten“, wie der Sprecher betonte. Der geniale Nik Cohn sagte es besser (in seiner immer noch lesbaren Geschichte der Popmusik „AWopBopaLooBopALopBamBoom“), aber Sgt. Pepper wurde zum Todestoß der Popmusik: Es war der erste Versuch, aus einem Pop-Album ein Kunstwerk zu machen, es war das erste Mal mehr als nur Lärm, und es war das erste Mal kein Pop mehr. Kleine, rauhbeinige Jungs aus Liverpool verwandelten sich in Möchte-Gern-Heilige und wollten Genies sein. Sie verdienten viele Millionen Pfund, kurbelten den englischen Export an und wurden dafür mit dem OBE (Order of the British Empire) ausgezeichnet. Sie verbrachten eine Menge Zeit mit dem „Finden von Klangfarben“ (Harrison) anstatt Konzerte zu geben, auf denen kleine Mädchen kreischend in Ohnmacht gefallen waren. Statt Superpop machten sie nun drittklassige Kunst, und alle Welt feierte ihr Album als wegweisend; oder wie jener „politische Aktivist“, der in dieser Dokumentation sagte, Sgt. Pepper habe sein Leben verändert: Sie fühlten sich zu alt fürs Kreischen, waren wütend und entdeckten nun die „Kunst“.

Alles, was gut an Pop war („er handelt von Kleidung und Autos und Tanzen, er handelt von den Eltern und Highschool, von den Ketten und wie man sie zerreißt, er hat mit Sex zu tun und damit, wie man reich wird, wie man alt wird, er handelt von Amerika, von den Großstädten und dem Lärm“, Nik Cohn), wurde mit Sgt. Pepper auf einen Schlag zunichte gemacht. Statt endlich erwachsen zu werden und eine vernünftige Karriere zu beginnen, straften die Beatles die Welt mit einer Generation von senilen Heranwachsenden, die ihr Glück im „Aussteigen“ oder östlichen Religionen suchten, die natürlich auch nicht ewig jung blieben, aber in diesem Glauben bis heute leben. Das wäre einen Film wert gewesen.Torsten Alisch