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KÜSSE UND BISSE

■ Rossini von der Berliner Kammeroper in der Theatermanufaktur

KÜSSE UND BISSE

'Rossini‘ von der Berliner Kammeroper in der

Theatermanufaktur

Wer sich umguckt auf dem U-Bahnhof, wird blind. Die Litfaßsäulen können es nicht fassen: alles einmalig, neu, wichtig, garantiert erfolgreich, erregend und bewegend nimm mich, ich bin frisch. Wie gut tut da dieses schlichte Plakat der Berliner Kammeroper in schwarzweiß: eine wohlgenährte Bourgeoiswampe aufgeknöpft in Großaufnahme, die Weste schlägt fröhliche Falten, die Haltung der Hände spricht Bände. Rossini.

„Er hatte eine wundervoll geformte Hand und zeigte sie mit einer gewissen Koketterie.„ Er hat als junger Mensch neununddreißig Opern geschrieben - vier Minuten für eine Arie, einen Vormittag für eine Ouvertüre, vier Wochen für ein abendfüllendes Auftragswerk. Als der Erfolg europaweit gesichert war, setzt er sich mit siebenunddreißig Jahren zur Ruhe. „Die Einfälle kamen mir schnell, und es fehlte mir nur die Zeit, sie aufzuschreiben.„ Freilich blieb ihm noch reichlich Zeit genug, um Pasteten und eitle Bonmots zu erfinden. Und er war so frei - anders als seine Kollegen im kühlen Norden, die man stets gerne gegen ihn ausspielte -, auch die Legenden mit zu machen. Gewiß gibt es keine Beethovenbuletten. Aber Mozart, Schiller etc. sind ja doch erst posthum mit Kugeln und Glocken versehen worden, einzig Giaocchino Rossini hat seine Tournedos wirklich selbst erfunden und gegessen.

Zur Strafe wurde er hierzulande (vom 'Barbier‘ einmal abgesehen) zum Ouvertürenkomponisten degradiert, fürs Wunschkonzert und als Pausenfüller. Die Opern dazu braucht man nicht zu kennen, weil sowieso jeder weiß, daß sie leichte Ware sind, die eine wie die andere. Zumal die Jugendwerke vor dem Durchbruch mit 'Tancredi‘ (1813) gelten gemeinhin als läßlich, zwei dieser Stücke kann man jetzt besichtigen: in der Berliner Kammeroper, die sich längst einen Namen gemacht hat mit Trouvaillen abseits von den Trampelpfaden des Repertoires. L'occasione fa un ladro heißt eine Delikatesse, Il Signor Bruschino die andere und beides sind sogenannte 'Farse‘ - also kleine Karnevals -Einakter mit dem üblichen Komödiantenklamauk: Verkleidung, Verwechslung, Prügel, Lüge und Intrige, am Ende aber siegt die Liebe. Wirklich, ganz das Übliche: wie im 'Barbier von Sevilla‘ will da der Vormund sein Mündel mit Gewinn unter die Haube bringen, wie in 'Figaros Hochzeit‘ verbündet sich die Dame des Hauses mit ihrer Zofe gegen die vertrottelte Männerwelt, wie in 'Cosi fan tutte‘ verursacht die Liebesprobe ein fatales Überkreuz der Gefühle im Quartett.

Und siehe da, sowohl die Vorurteile über Rossinis Buffabagatellen wie auch über das landläufige Verständnis von heiliger klassischer Kunst lösen sich en passant in Luft auf. Plätschern da nicht die gleichen musikalischen Floskeln auch in den hochverehrten Mozartouvertüren (die das Theatercafe passenderweise zur Pause vom Band serviert)? Finden sich nicht bei Rossini auch die komturdunklen Orchesterfarben, diese unverhofften Einbrüche, wenn das leichte Spiel umschlägt ins Bitterböse? Spitze Piccoloflöte, betörende Klarinette, dumpfes Horn, fetzende Streicher - es ist alles dabei und bester Rossini: eine Musik, die, wie Heinrich Heine so schön schrieb, den Leuten das Herz küßt und gleichzeitig Bisse und Knüffe auszuteilen weiß.

So klein und fein, wie Farcen nun mal sind - diese hier lassen doch nichts aus (bis auf den Chor): es gibt große Arien, kontemplative Ensembles, rasante Finali. Und als die Sänger und Musiker sich warmgespielt haben, als sie mitten in 'L'occasione‘ zu voller Form auflaufen, da wird aus der Kammeroper vorübergehend ein ganz großes Haus. Das Orchester unter der Stabführung von Brynmor Llewelyn Jones gibt sein Bestes, das Sängerpersonal schlägt sich durchweg wacker - due donne (Regina Schudel undKarin Kunde) setzen ihrem Part sogar Glanzlichter auf. Das erste Stück ist ganz aus einem Guß, im zweiten dann erweist sich leider doch, wie schwer das Leichte ist. Perlende Koloraturen können es nicht vertragen, daß man den Schweiß hört, mit dem sie hervorgebracht werden - das Brio macht sich auf und davon, die große Orchesterharfe wird zur lahmen Leier, wenn das Tempo notgedrungen gedrosselt wird. Nach der Pause kommen die Hänger, da nutzt es gar nichts, daß die Regie mit einem Feuerwerk optischer Gags aufwartet.

Bunte Bountyinsel und knallende Knatterchargen in der zweiten Hälfte, in der ersten das gedämpfte, geschlossene Ambiente der Jahrhundertwende - die Inszenierung Henry Akinas will, wie auch das umfängliche Programmheft belehrt, die gesellschaftskritische Tiefenschärfe der Commedia ausloten und ganz aktuell über die Rampe bringen. So etwas ist immer eine ganz gefährliche Gratwanderung, die Grenze zwischen Moral und moralinsaurem Krampf ist hauchdünn, die zwischen leichtem Witz und jenem Humor, der nach deutscher Stammtischart nur noch weh tut, womöglich noch dünner. Alle Achtung, über weite Strecken hat Akina die Balance gehalten. Vieles an der neuen Produktion der Berliner Kammeroper ist klug durchdacht, manches ein Quentchen zu klug, womit wiederum die zahlreichen alternativen Oberlehrer im Publikum ganz offensichtlich hochzufrieden waren. Rossinis Opern hat das nicht weiter geschadet.

Das Schöne an der Berliner Kammeroper ist sowieso der Feuereifer, mit dem da immer wieder ambitionierte Projekte aufgezogen werden, auch wenn es hinten und vorne kneift mit dem Geld. In diesem Jahr hat auch dieses Ensemble ein bißchen was abgekriegt von der kulturstädtischen Finanzdusche. Eine feste Spielstätte hat die Kammeroper aber immer noch nicht.Elisabeth Eleonore Bauer

Die Berliner Kammeroper gastiert mit 'Rossini‘ in der Theatermanufaktur am Halleschen Ufer, nur noch am 14., 15., 17. und 18. Juni, jeweils 19.30 Uhr.

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