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Grüne Insel im Delirium

■ Korrespondent auch / England - Irland 0:1 / Irland träumt vom Halbfinale

Grüne Insel im Delirium

Korrespondent auch / England - Irland 0:1 / Irland träumt

vom Halbfinale

Aus dem Pub Ralf Sotscheck

Dublin (taz) - Am Sonntag um 16.16 Uhr irischer Zeit erzitterte die grüne Insel unter einem Schrei, der vermutlich bis in den letzten Winkel Englands zu hören war: Der krasse Außenseiter Irland hatte England, einen der Favoriten für die Fußball-Europameisterschaft, 1:0 besiegt. Innerhalb weniger Minuten stieg der durchschnittliche Alkoholspiegel in Irland um mehrere Promille.

Offensichtlich hatten die britischen und irischen Sicherheitskräfte bei der Ansetzung des Spiels ein Wörtchen mitzureden. In Großbritannien öffnen die Kneipen am Sonntag erst nachmittags, in Irland müssen sie um 14 Uhr für zwei Stunden schließen: „Holy Hour“, die heilige Stunde, die auch den hartnäckigsten Trinker nach Hause an den Mittagstisch treibt. Einige Kneipen versuchten, das wachsame Auge der Moral zu überlisten, um die Fans an den Farbfernseher auf dem Tresen zu locken. Sie boten komplette Mahlzeiten an, die freilich vorwiegend aus alkoholischen Getränken bestanden. Da die Legalität dieser Gelage nicht ganz geklärt werden konnte und zu befürchten war, daß ein gottesfürchtiger Polizist dem Treiben mitten im Spiel ein Ende machen könnte, zogen es viele vor, private Fußballfeste zu organisieren. Wir auch.

25 Erwachsene und ebensoviele Kinder drängelten sich in unserem kleinen Wohnzimmer, während im Garten bei strahlendem Sonnenschein fünf unverbesserliche Anti -Fußballer die berüchtigten irischen Würstchen grillten. Aber wer denkt schon ans Essen, wenn es gegen den historischen Feind geht. Mick faßte die Stimmung zusammen: „Es ist mir schnuppe, wie wir gegen die anderen Mannschaften spielen, solange wir die Briten schlagen.“ Schon am Morgen wurden überall vor den Kneipen in Dublin Mützen und Schals in der irischen Farbe verkauft: grün. Einige Pfarrer schlossen die irische Nationalmannschaft bei der Sonntagsmesse ins Gebet ein, wenn auch mit Skrupeln: „Vielleicht ist es nicht richtig, für so etwas zu beten, aber ich hoffe, daß es nach unserem Sieg nicht zu Ausschreitungen britischer Fans kommt.“

Die britischen Fans sind im Stuttgarter Neckarstadion in der Minderheit. 15.000 IrInnen pfeifen die englische Nationalhymne in Grund und Boden. Danach gelingt es der deutschen Kapelle, aus der recht melodiösen irischen Hymne einen Marsch zu machen. Die erste Halbzeit beginnt nach Maß. Schon nach sechs Minuten köpft Houghton den Ball ins englische Netz und läßt die gesamte britische Abwehr steinalt aussehen. Das Wohnzimmer gleicht einem Tollhaus, bis ein Kleinkind den Fernseher auf BBC umschaltet (wo Michael Jackson singt) und mit der Fernbedienung davonläuft. Nach einigen Minuten gelingt es, das Kästchen zurückzuerbeuten.

Die Iren kontrollieren das Spiel in der ersten Halbzeit, doch nach der Pause wandelt sich das Bild. Die Engländer kommen immer besser ins Spiel, haben mindestens vier Großchancen durch Gary Lineker (der von dem langsamen Mick McCarthy nie gehalten werden kann), aber scheitern jedesmal am irischen Torwart Packie Bonner und am eigenen Unvermögen. Die Spannung hat den Siedepunkt längst überschritten, an einen neutralen Bericht ist nicht mehr zu denken. „Großartiger Schuß“, schreit Robbie, - „für einen Engländer“, während der Ball zehn Meter am Tor vorbeisegelt.

In der Nachspielzeit rettet Bonner noch einmal den Sieg mit einer Blitzreaktion. Dennoch ist Bonner der einzige Spieler, den der britische Trainer der irischen Nationalmannschaft, Jack Charlton, nach dem Spiel kritisiert. Er habe Schwächen im Herauslaufen gezeigt. Auf die Frage eines britischen Reporters, wie er es geschafft habe, England diese Schmach zuzufügen, antwortet Charlton: „Wenn wir in besserer Form gewesen wären, hätten wir England noch viel mehr antun können.“

Irland träumt vom Halbfinale. Die Würstchen sind verkohlt.

ENGLAND: Shilton - Stevens, Wright, Adams, Sansom Waddle, Webb (60. Hoddle), Robson, Barnes - Beardsley (84. Hateley), Lineker

IRLAND: Bonner - Morris, McCathy, Moran, Hughton - Houghton, McGrath , Whelan, Galvin(77. Sheedy) - Aldridge, Stapleton (65. Quinn)

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