Neue politische Ära in Frankreich

■ Keine klaren Mehrheitsverhältnisse bei vorgezogenen Parlamentswahlen in Frankreich / WählerInnen scheinen sich für Kohabitation entschieden zu haben / Wahlergebnis zwingt Mitterrand, mit der Rechten zusam

Neue politische Ära in Frankreich

Keine klaren Mehrheitsverhältnisse bei vorgezogenen

Parlamentswahlen in Frankreich / WählerInnen scheinen sich für Kohabitation entschieden zu haben / Wahlergebnis zwingt Mitterrand, mit der Rechten zusammenzuarbeiten /

Linksallianz ist unvorstellbar

Aus Paris Georg Blume

Die fünfte Republik tritt in eine neue politische Ära. Vorbei die Zeit der klaren Mehrheitsverhältnisse: bürgerliche und Sozialisten haben bei den Parlamentswahlen unentschieden gespielt. Als Schiedsrichter in der Nationalversammlung können nunmehr beim ersten Blick auf das Wahlergebnis die Kommunisten erscheinen. Die Front National dagegen hat ihre parlamentarische Existenz - trotz ihres guten Abschneidens in Marseille - praktisch verloren.

Die Parlamentswahl am Sonntag gleicht einem Votum für die Kohabitation. Zwei Jahren gab es in Frankreich die verfassungsgeschichtlich außergewöhnliche Konstellation einer Machtteilung zwischen Rechten und Linken an der Staatsspitze. Doch erschien die Kohabitation Chirak/Mitterrand nur als unumgängliche Überbrückungsphase bis zu den Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr. Als der linke Staatspräsident Mitterrand die Wahlen im Mai gewann, betrachtete man aufgrund des bisherigen Wahlverhaltens der Franzosen in der fünften Republik eine sozialistische Parlamentsmehrheit als gesichert. Die französischen Wähler aber machten jetzt das alte Spiel nicht mehr mit.

Nachhaltig scheint sich die Kohabitation, während der das letztendlich friedliche Zusammenwirken von Chirac und Mitterrand den Traum nationaler Harmonie verkörpern konnte, ins politische Bewußtsein der Franzosen eingeprägt zu haben. Im Licht der Parlamentswahlen erscheint der Sieg Mitterrands als positive Beurteilung einer erfolgreichen Staatsführung zusammen mit einer rechten Regierung. Auf der Gegenseite wurde Chirac entmachtet, weil er sich im Wahlkampf ausschließlich als Vertreter seiner Politik darstellte. Das Wahlergebnis vom Sonntag zwingt Mitterrand erneut, mit der Rechten zusammenzuarbeiten. Es sind nun unterschiedliche politische Szenarien vorstellbar. Eine Linksallianz ist entsprechend der Aussagen von sowohl Kommunisten wie Sozialisten gleichermaßen unvorstellbar.

Das Kohabitionsvotum darf jetzt nicht als Blankoscheck für Frankreichs Politiker gewertet werden. Es zeigt vielmehr die politische Ratlosigkeit der Franzosen. Sie konnten auch nach einem viermonatigen Wahlkampf keine grundsätzliche Alternative zwischen den großen politischen Lagern entddecken. Knapp 30 Prozent der Wähler gingen deshalb am Sonntag erneut nicht zur Wahl. Umso markanter wirkt damit auch im nachhinein der Erfolg Le Pens beim ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen. Nun zu diesem Zeitpunkt - bei den Parlamentswahlen verhinderte es noch das Mehrheitswahlrecht - konnte Le Pen als einziger eine politische Alternative bieten und erreichte prompt die bedeutendste Wählerverschiebung in der Wahlperiode 1988.

Le Pen kann sich auch nach dem letzten Wahlgang am Sonntag zu den Gewinnern zählen. Das Wahlbündnis zwischen Rechtsradikalen udn Bürgerlichen in Marseille hatte nicht die von den Sozialisten erhoffte abschreckende Wirkung auf Wähler der Mitte noch mobilisierte es das linke Wählerpotential. In Marseille gingen durchschnittlich zwei Drittel der bürgerlichen Stimmen vom ersten Wahlgang an die im Rennen gebliebenen Kandidaten der „Front National“. Vor allem aber funktionierten die Stimmübertragungen von der Le Pen-Partei zu den bürgerlichen Kandidaten im ganzen Land nahezu perfekt. Sie stehen damit im Gegensatz zur Präsidentschaftswahl, als Le Pen keine eindeutige Wahlaussage zugunsten der Rechten gegeben hatte. Le Pen verhinderte damit die absolute Mehrheit der Sozialisten und stellt sich den Bürgerlichen nunmehr als lukrativer Bündnispartner bei den Wahlen dar. Triumphierend stellte Jean-Claude Gaudin, Führer der Marseiller Rechtsliberalen, fest: „Der mutige Rückzug unserer Kandidaten in Marseille hat bewirkt, daß alle Front-National-Wähler im Land für uns gewählt haben.“

Nach der Wahl richten sich heute alle Blicke auf Francois Mitterrand. „Um regiert zu werden, braucht Frankreich eine parlamentarische Mehrheit, die ihren Zusammenhalt aus den Werten der Republik schöpft. Es liegt am Präsidenten der Republik, die Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Bildung einer solchen Mehrheit ermöglichen.“ Raymond Barre, noch vor kurzem Kandidat der rechtsliberalen UDF für das Präsidentschaftsamt, reichte Mitterrand noch am Wahlabend die Hand. Barre verspricht dem Präsidenten die Gründung einer unabhängigen Zentrumsfraktion im Parlament, die sich zu einer Regierungskoalition mit den Sozialisten bereiterklären würde. Doch Mitterrand hat mehrere Fäden in der Hand, er muß sich nicht für Barre entscheiden.

Die relative, aber starke Parlamentsmehrheit der Sozialisten erlaubt dem Präsidenten, zumindest über den Zeitraum einiger Monate mit einer Minderheitsregierung unter Premierminister Rocard auszukommen. Die Sozialisten müssen sich derzeit Klarheit verschaffen, wer auf seiten der Rechten zu den weitestgehenden Zugeständnissen bereit ist.

Zwei Szenarien aber scheinen ausgeschlossen. Sowohl die große Koalition, wie sie Giscard d'Estaing am Wahlabend den Franzosen pries, wie auch die Linksunion mit den Kommunisten würde Mitterrand die politische Hauptrolle stehlen. Dieser Rolle aber ist sich der Präsident sicherer den je. Nachdem die Parlamentswahlen keinen eindeutigen Sieger hervorbrachten, liegt vor Mitterrand die politische Landschaft brach. Er hat den Pflug in der Hand.