: „Es tauchen immer mehr Leichen mit Folterspuren auf“
Julio Cesar Portillo, Mitglied der Führung des gewerkschaftlichen Dachverbandes UNTS, zur Aufstandsbekämpfungsstrategie der USA, zum Terror der Todesschwadronen, zum bewaffneten Kampf, zum Wahlsieg der rechtsextremen ARENA und den eigentlichen Problemen des Landes ■ I N T E R V I E W
Nachdem die Militärs im Januar 1980 auf die größte Demonstration, die es je in El Salvador gegeben hatte, gefeuert und ein entsetzliches Blutbad angerichtet hatten und nachdem im selben Jahr Tausende den staatlich protegierten Todesschwadronen zum Opfer fielen, ging die Opposition in die Berge oder ins Exil. Der zivile Widerstand war gebrochen. Fortan herrschte Krieg. Erst fünf Jahre später meldete sich im Sommer 1985 die soziale Bewegung wieder zu Wort. Zehntausende gingen auf die Straße, um gegen die rapide, auch kriegsbedingte, Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen zu protestieren. Im Februar 1986 wurde die UNTS (Union Nacional de Trabajadores Salvadorenos) gegründet. Heute ist dieser Dachverband, in dem sich zahlreiche gewerkschaftliche-, berufsständische- und Bauernorganisationen zusammengeschlossen haben, zweifellos die stärkste zivile Opposition im Land. Es gibt wieder Streiks und Demonstrationen. Doch auch der Terror der Todesschwadronen, der nach 1982 deutlich abgeflaut war, nimmt wieder zu. UNTS-Mitglieder sind bevorzugtes Zielobjekt.
taz: Hat sich das Panorama für die Aktivitäten der UNTS nach dem Sieg der Rechten bei den Wahlen vom 20.März verändert?
Julio Cesar Portillo: Die Enttäuschung der Bevölkerung über die Regierung Duarte und deren Counterinsurgency-Projekt hat der ARENA eine Mehrheit im Parlament ermöglicht. Das hat eine neue Situation geschaffen: Die Oligarchie und die Großunternehmer versuchen jetzt über die Nationalversammlung Politik zu machen. Sie rennen mit ihren Anliegen zum Parlament, als ob dieses ein Beschwerdebüro wäre. Aber auch hohe Militärs, die immer faschistisch gewesen sind, fühlen sich gestärkt. Es gibt also eine empfindliche Zunahme der Entführungen und Festnahmen. Es tauchen immer mehr Leichen mit Folterspuren auf, vor allem in den Vororten der Hauptstadt. Gleichzeitig versuchen die Großgrundbesitzer, die Campesinos und Genossenschaften, die bei der Agrarreform Land bekommen haben, von ihrem Grund zu vertreiben. Der Oberste Gerichtshof fällt Urteile zugunsten der Großgrundbesitzer und gegen die kleinen Campesinos und Kooperativen. Organisierte ArbeiterInnen werden massenweise entlassen, Gewerkschaften zerschlagen.
Was passiert konkret?
Letzte Woche hat es Fernseheinschaltungen und Zeitungsanzeigen gehagelt, die beweisen sollen, daß wir Führer der Volksbewegungen Mitglieder der FMLN-Guerilla sind. So wollen sie die Anführer von der Basis isolieren und die öffentliche Meinung im In- und Ausland auf Aktionen vorbereiten, die schon im vorhinein gerechtfertigt werden.
Mehr als 200 Campesinos, Gewerkschafter, Genossenschafter und Vertriebene sind seit den Wahlen vom 20.März ermordet worden. Die meisten wurden gefoltert. Die ARENA -Bürgermeister hier in der Hauptstadt und in der Provinz haben massenhaft ArbeiterInnen entlassen. ARENA baut eine Organisation auf, die „Regionalkommando“ genannt wird. Eine faschistische Organisation, die die berüchtigte ORDEN ersetzt, die es früher gegeben hat. Sie ziehen in der Nacht militärische Ausbildungen durch, führen Listen von Genossenschafts- und Gewerkschaftsführern und genießen die Unterstützung der lokalen und regionalen Militärkommandanten. Dieser Plan wurde Anfang Juni Präsident Duarte war zwecks Bahandlung eines Krebsleidens gerade in den USA - in der US-Botschaft ausgeheckt mit Vertretern der Oligarchie, von ARENA, des Generalstabs und unter Beisein von Vizepräsident Castillo Claramount.
Was hat das für Folgen?
Die US-Regierung, die ihr interventionistisches Projekt durch den Verfall der Christdemokratischen Partei gefährdet sieht, versucht mit ARENA und der Oligarchie ihr Counterinsurgency-Projekt wiederzubeleben. Wenn ARENA die Präsidentschaftswahlen 1989 gewinnt, gibt es ein Blutbad. Denn für ARENA ist jede Form von Volksorganisation ein Feind, der zerstört werden muß. Es gibt einige Organisationen, die von den Christdemokraten ins Leben gerufen wurden und deren Politik unterstützten, die jetzt auch von ARENA aufs Korn genommen werden.
Die UNOC zum Beispiel?
Zum Beispiel. Vor kurzem wurde ein Anführer einer der Mitgliedsorganisationen der UNOC von der Finanzpolizei ermordet.
Gibt es eine Annäherung zwischen UNTS und UNOC?
Die Bedingungen erforden eine Einheit der ArbeiterInnen.
Was bedeutet in diesem Zusammenhang die mögliche Wahlbeteiligung der „Demokratischen Konvergenz“ (Bündnis der kleinen Sozialdemokratischen Partei mit der sozialdemokratischen MNR und der linkskatholischen MPSC; letztere gehören beide der FDR an, die ihrerseits mit der FMLN-Guerilla liiert ist, Anm. d. Red.)?
Wir glauben, daß die Lösung des bewaffneten Konflikts nicht über traditionelle Wahlen führt. Die letzten Wahlen sind ein deutliches Beispiel. Wir glauben, daß die Lösung auf der Basis eines Konseses aller lebendigen Kräfte aufbauen muß.
Aber kurzfristig steht keine Veränderung der Spielregeln an.
Das ist ein Problem für die „Konvergenz“ und ihre Anführer haben ja auch bereits öffentlich gesagt, daß sie eine Teilnahme erwägen. Noch haben sie nicht gesagt, in welcher Form. Da gibt es ja mehrere Möglichkeiten.
Eine Wahlbeteiligung würde den Bruch mit der FMLN mit sich bringen und dem bewaffneten Kampf die Legitimation entziehen. Was hätte das für Auswirkungen auf die UNTS?
Die FDR hat immer gesagt, daß ihre politische Betätigung hier keinen Bruch mit der FMLN bedeutet. Und selbst wenn es so wäre, müßten sie sehen, wie sie damit fertig werden. Wir als UNTS glauben, daß der bewaffnete Kampf seinen Ursprung in der sozialen Ungerechtigkeit hat, in der Unterdrückung und dem Elend. Diese Gründe sind keineswegs verschwunden. Im Gegenteil, sie werden immer schwerwiegender. Wir glauben, wenn die Guerrilleros ihren guten Grund hatten, die Waffen zu ergreifen, hätte es nicht viel Sinn, jetzt zu sagen, es ist vorbei. Denn der einzige Weg zum Frieden führt über die Erfüllung der gerechten Forderungen der ArbeiterInnen. Das Problem ist nicht, daß geschossen wird, sondern das Problem ist der Hunger, das Elend, die ständige Verletzung der Menschenrechte, die Intervention der USA.
Bedeutet die militärische Komponente einen gewissen Schutz für euch? Was würde sich für die Bedingungen des Gewerkschaftskampfes verändern, wenn die FMLN die Waffen strecken würde?
Es stellt sich nicht die Frage, ob die FMLN die UNTS schützt oder umgekehrt. Jede Kampfform hat ihre Auswirkungen, die mehr oder weniger positiv sein können. Ich glaube, wenn die FMLN die Waffen streckt, bevor die Bedürfnisse der Massen befriedigt werden, wird eine neue FMLN entstehen.
In Europa wird viel diskutiert, ob man im salvadorianischen Kampf die FMLN unterstützen soll oder besser die zivilen Kräfte, wie die UNTS.
Wir haben das schon diskutiert. Wir glauben, daß alle Initiativen als Ausdruck des Kampfes das Recht haben, Solidarität zu empfangen. Und die Solidaritätsgruppen haben das Recht zu entscheiden, wem sie helfen.
Das Gespräch führte Ralf Leonhard
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