: Ein „Sorry“ für 290 Tote
■ Nur ein knappes Wort des Bedauerns gab es von Reagan für den Abschuß des iranischen Airbus
„Ich spreche für alle Amerikaner und für alle Menschen, die zivilisierten Umgang miteinander schätzen, wenn ich gegen den Angriff auf ein unbewaffnetes Zivilflugzeug protestiere“, entrüstete sich Präsident Reagan. „Worte können kaum unsere Abscheu über diese erschreckende Gewalttat ausdrücken.“ Das war im September 1983 - Stunden, nachdem die sowjetische Luftwaffe einen südkoreanischen Jumbojet mit 269 Personen an Bord, der in den sowjetischen Luftraum eingedrungen war, abgeschossen hatte. 1988 Stunden, nachdem die US-Navy einen iranischen Airbus mit 290 Menschen an Bord vom Himmel geschossen hatte, klang Reagan ganz anders.
Nicht vor den Kameras der Washingtoner Presse, sondern schriftlich von seinem Wochenendsitz Camp David aus nahm der Präsident diesmal seine Seestreitkräfte im Orient in Schutz: Zwar sei eine „schreckliche menschliche Tragödie“ geschehen, doch habe es sich um eine „angemessene defensive Aktion der US- Navy“ gehandelt.
Es war eine Meldung der iranischen Nachrichtenagentur, die die Medien und Politiker in der amerikanischen Bundeshauptstadt am frühen Sonntag morgen aus dem Schlummer gerissen hatte. Ein Airbus A300 der Iran Air sei auf dem Flug von Bandar Abbas nach Dubai abgestürzt, Trümmer und Leichen schwämmen im Persischen Golf. Augenzeugen auf einer südiranischen Insel hatten zwei Raketen auf den Jet zufliegen sehen, ein iranischer Tankerkapitän hatte über Funk den Notruf der Zivilmaschine aufgefangen. Die iranische Nachrichtenagentur machte die Vereinigten Staaten für den Abschuß („barbarisches Massaker“) verantwortlich. Radio Teheran schaltete auf ernste Musik um, die nur von Sprechchören („Tod über Amerika“) unterbrochen wurde.
Eine Dreiviertelstunde später gab der Kontrollturm des Flughafens in Dubai folgende Meldung durch: „An alle Stationen auf Kanal 16. Hier ist die Flugkontrolle Dubai. Ein iranischer Airbus ist vermutlich abgestürzt. Bitte halten Sie nach Überlebenden und Flugzeugtrümmern Ausschau.“ Flugzeuge aus dem Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten stiegen auf und begannen mit der Suche nach der Absturzstelle.
Dies war am Sonntag zwischen drei und vier Uhr morgens amerikanischer Zeit. Noch um neun Uhr behauptete das Pentagon, keine Erkenntnisse über einen abgestürzten iranischen Airbus zu haben. Es sei in der Nacht im Golf zu einem militärischen Zusammenstoß zwischen den US-Fregatten Vincennes sowie Montgomery und fünf iranischen Patrouillenbooten gekommen, von denen zwei versenkt worden seien. Darüber hinaus sei ein iranisches Kampfflugzeug vom Typ F-14, das sich der Vincennes in bedrohlicher Weise genähert habe, durch eine infrarot-gesteuerte See-Luft -Rakete abgeschossen worden.
Zwei Stunden später berichtete die US-Fernsehgesellschaft ABC unter Berufung auf Quellen im Pentagon, daß man sich nicht mehr so sicher über den Typ des getroffenen Flugzeugs sei. Präsident Reagan war bereits kurz vor fünf Uhr morgens von dem Scharmützel im Golf in Kenntnis gesetzt worden. Um 8 Uhr 11 erfuhr er von der iranischen Meldung über den Abschuß des Airbusses, um 9 Uhr 50 rief ihn der stellvertretende Sicherheitsberater Negroponte an und teilte mit, es sei möglich, daß die USA am Absturz schuld seien. Gegen Mittag wurde dem eilig zusammengerufenen Krisenstab im Weißen Haus klar, daß es tatsächlich so war.
Es wurde Generalstabschef William Crowe überlassen, die fatale Nachricht von der amerikanischen Verantwortlichkeit für den Verlust von 290 Menschenleben vor der Presse bekanntzugeben: „Nachdem wir weitere Daten und Informationen aus dem Persischen Golf empfangen und ausgewertet haben, glauben wir, daß der Kreuzer USS Vincennes, der sich in aktiven Kampfhandlungen mit ihn bedrohenden iranischen Seestreitkräften befand und sich vor offenbar feindlichen Flugzeugen zu schützen versuchte, ein iranisches Zivilflugzeug über der Straße von Hormus abgeschossen hat. Die US-Regierung bedauert diesen Zwischenfall zutiefst, eine genaue Untersuchung ist angeordnet worden.“
Crowe behauptete, der Airbus habe auf dem Radarschirm der mit modernster elektronischer Technologie ausgestatteten USS Vincennes wie eine F-14 ausgesehen, habe sich außerhalb des Zivilflugkorridors über den Holf befunden und auf sieben über Funk ausgestrahlte Warnungen nicht reagiert, sondern sei mit unverändertem Kurs und hoher Geschwindigkeit direkt auf den amerikanischen Kreuzer zugeflogen. „Wegen des bedrohlichen Flugprofils und der abnehmenden Distanz wurde das Flugzeug schließlich als feindliches angesehen und aus neun Meilen Abstand mit zwei See-Luft-Raketen beschossen, von denen mindestens eine traf“, sagte Stabschef Crowe. Verschiedene militärische und Luftfahrtexperten meldeten im Lauf des Tages Zweifel an der Version Crowes an. Vor allem scheint es unwahrscheinlich, daß man einen zivilen Airbus mit der wesentlich kleineren F-14-Phantom verwechseln kann.
Die Vincennes ist das erste der eine Milliarde Dollar teuren Raketenkreuzer der „Aegis„-Klasse, die im Golf eingesetzt wurden. Das Schiff ist seit dem 27. Mai im Golf stationiert und soll den Luftraum in der südlichen Hälfte des Golfs bis zur Straße von Hormus sichern helfen. Das „Aegis„-System, nach dem Schwert des Gottes Zeus benannt, ist ein computergesteuertes Radarsystem, das direkt mit den Raketenbatterien des Schiffes verbunden ist. Die Navy nannte das System einmal „das umfassendste Raketensystem zur Flugzeugabwehr, das die Marine je zu Wasser gebracht hat“. Es soll bis zu zehn Schiffe gleichzeitig gegen Raketen- und Luftangriffe schützen.
Der Flakkreuzer kann mit seinem Radar Ziele bis zu einer Entfernung von 3.200 Kilometern orten und auf eine Entfernung bis zu 500 Kilometern vernichten. Er ist in der Lage, 80 Raketen gleichzeitig zu starten, zu leiten und ins Ziel zu bringen. Alle Flugzeuge sind obendrein mit einem sogenannten Transponder ausgerüstet, der automatisch den Typ des Flugzeugs signalisiert. Es sei im übrigen gut möglich, daß ein ziviles Flugzeug in der Startphase an es über Funk gerichtete Warnungen überhöre, genauso wie es möglich sei, daß es einige Meilen über den vorgeschriebenen Flugkorridor hinausfliege, so Eugene Carroll vom Washingtoner „Center for Defense Information“.
Die Demokratische Partei, die das US-Abenteuer im Persischen Golf bisher zähneknirschend geduldet hat, da sie selbst keinen Ausweg aus dem mittelöstlichen Dickicht weiß, wagte zunächst keine offene Kritik am Verhalten der militärischen Befehlshaber im Golf.
Fraktionsführer Foley billigte dem Kapitän der „Vincennes“ zu, über den Charakter des abgeschossenen Flugzeugs verwirrt gewesen zu sein und meinte, er habe korrekt gehandelt.
Stefan Schaaf
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