Scherf ging zur Mutprobe in die Kaserne

■ Der Kriegsdienstverweigerer und Bürgermeister Henning Scherf absolvierte in der Kaserne Schwanewede seine erste Diskussion mit echten Bundeswehr-Angehörigen und bekam als Gastgeschenk einen kleinen Zinnsoldaten zum Spielen

„Dankeschön“, wandte sich Henning Scherf artig an seine Gastgeber und drehte den Zinnsoldaten unsicher zwischen den Fingern. Über zwei Stunden lang hatte der Bürgermeister am Montag nachmittag mit 30 Rekruten, Unteroffizieren, Feldwebeln, Kompaniechefs und einem Kommandeur vorsichtigen Dialog gesucht. Als am Ende der kleine Zinnsoldat in preußischer Uniform die Fronten von der Schwaneweder Panzergrenadier-Brigade zum pazifistischen Senator für Jugend und Soziales gewechselt hatte, zeigten die Gesichter Erleichterung. „Sie waren sehr freundlich zu mir“, bedankte sich Scherf für das Gespräch und den Soldaten.

„'ne Art Mutprobe“

Der Dialog in der Kaserne war eine Premiere und „so 'ne Art Mutprobe für mich“, hatte Scherf den Soldaten zu Beginn mitgeteilt. Denn als anerkannter Kriegsdienstverweigerer habe er sich bislang auch dienstlich um Empfänge zum Militär gedrückt. Doch jetzt war er der Einladung des Schwaneweder Oberst Klaus Frühhaber gefolgt und saß mitten zwischen Uniformen und Kaffeetassen, die in Reih und Glied über den grünen Tisch verteilt waren. „Feuer frei“, eröffnete Frühha

ber die Diskussion.

Warum seine Frau am Wochenende immer 1. Klasse fahren muß, um im Zug nicht von besoffen blökenden Rekruten überfallen zu werden, will Scherf wissen. „Bei dem Frust hier ist es doch kein Wunder, daß die sich einen ballern“, klärt ihn ein junger Soldat auf. „Hier kann man keine Kamaradschaft aufbauen, wenn man immer nur als Untergebener behandelt wird“, konkretisiert ein anderer. Und ein Oberstleutnant ergänzt: „Wir sind eine große Männergemeinschaft, es gibt hier keine Frauen...“ Das „Gottseidank“ eines Kollegen überhört er. Einen Kompanie-Feldwebel macht es „unheimlich stolz“, die Entwicklung seiner Rekruten zu verfolgen: „Die Jungen sind nach 15 Monaten richtige Kerle geworden.“

Hirnrissiger Beruf

Henning Scherf hat keinen Einwand gegen den Soldatenstolz. Dafür hat er ein Buch gelesen, ein Buch des Exil-DDR -Schriftstellers Rainer Kunze über dessen Dienst in der Nationalen Volksarmee. Die „Langeweile als größtes Problem“ beschreibe Kunze, „ich schließe mal, daß das nicht nur bei der NVA so ist“, wendet sich Scherf an die Schwaneweder

Soldaten. Den Vergleich mit der DDR-Konkurrenz will ein Oberfeldwebel nicht hinnehmen: „Wir haben hier unseren Dienstschluß, danach kann jeder machen, was er

will“, beschreibt er den Unterschied zur Volksarmee.

„Hirnrissig“ stellt sich Scherf den Soldaten-Beruf vor. „Sie üben etwas ein, was um den höch

sten Preis nicht angewendet werden darf“. Identität, die normalerweise entsteht, wenn man im Beruf etwas besonders gut macht, „wird Ihnen versagt“, wendet er

sich an seine militärischen Gesprächspartner. Doch deren Sorgen sind weniger philosophischer Natur: „Wenn ich in Bremen in Uniform über die Straße gehe, kann ich froh sein, wenn mir kein Bigmäck nachgeworfen wird“, schildert ein Major und Parteifreund Scherfs sein Unbehagen als Friedenssicherer im öffentlichen Dienst und fragt sich: „Warum ist die Bremer Jugend so intolerant gegenüber Soldaten?“ Direkt an den Senator wendet sich ein Zeitsoldat: „Ich werde zu Hause als Faschist, als Mörder, als Nazi bezeichnet. Das sollte man ändern und Sie könnten Ihr Scherflein dazu beitragen“.

Doch Scherf möchte lieber dazu beitragen, daß nicht die Soldaten-Beschimpfungen, sondern die Soldaten überflüssig werden. „Herr Bürgermeister, Sie zeigen immer wieder, welche Vorurteile Sie gegenüber der Bundeswehr haben“, entgegnet ihm darauf ein Major. Den Zinnsoldaten hat Kriegsdienstverweigerer Scherf trotzdem verdient. „Sie haben selbstverständlich Ihre Mutprobe bestanden“, begründet Oberst Frühhaber.

Ase