piwik no script img

Paris lockert Isolationshaft ein wenig

Haftbestimmungen für rund 300 politische Gefangene leicht gemildert / „Erfordernis der Menschlichkeit“ / Statt Einzelisolation jetzt Kleingruppenisolation: Zu zweit in der Zelle, / Im neuen Amnestiegesetz werden die politischen Gefangenen nicht berücksichtigt  ■  Aus Paris Beate Seel

„Das ist die Öffnung! Das ist die Öffnung der Gefängnisse!“ Der empörte Ausruf des rechten Abgeordneten Jacques Toubon in der französischen Nationalversammlung am Dienstag bezog sich auf die Anordnung des Justizministeriums an die Gefängnisdirektoren der Region Paris, die Isolationshaft für politische Gefangene („Terroristen“) abzuschaffen. In Wirklichkeit allerdings werden weder die Gefängnistore geöffnet noch die unmenschliche Isolationshaft „abgeschafft“, wie in der Presse zu lesen war. Es ist lediglich vorgesehen, daß die politischen Gefangenen auf eigenen Wunsch zu zweit in einer Zelle untergebracht werden, Bücher und Zeitschriften ihrer Wahl beziehen und in Fünfergruppen spazieren gehen können - Haftbedingungen also, die eher unter den Begriff „Kleingruppenisolation“ fallen. Auf die Forderung politischer Gefangener, etwa während des Hungerstreiks von vier Mitgliedern der Action Directe vom 1.Dezember 1987 bis 26.März 1988, nach Zusammenlegung ganzer Gruppen wollte die Behörde allerdings nicht eingehen.

Betroffen von dieser Maßnahme sind neben Angehörigen von Action Directe Korsen, Basken und Häftlinge aus Guadeloupe. Das Ministerium spricht von 30 Personen; in Wirklichkeit dürfte die Zahl derer, die nach Abschaffung der Hochsicherheitstrakte im Jahre 1983 unter die Kategorie der sogenannten „detenus particulierement surveilles“ (DPS) fallen, bei 200 bis 300 liegen. Bei dieser Personengruppe handelt es sich um besonders überwachte Gefangene, denen die Gefängnisleitung behördenintern und willkürlich Isolationsstrafen aufbrummen konnte.

Justizminister Pierre Arpaillange nahm in seiner Replik auf den empörten Toubon ausdrücklich Bezug auf die Amnesty International, die Isolationshaft als Folter bezeichnet hat. „Dies ist eine Erfordernis der Menschlichkeit“, rief er. Weniger begeistert von dergleichen Anwandlungen der Justizbehörde zeigte sich am Dienstag abend die größte Gewerkschaft der im Stafvollzug Beschäftigten, die FO. Deren Generalsekretär Jacques Vialette monierte, die Entscheidung über die Abschaffung der Isolationshaft sei über seinen Kopf hinweg getroffen worden. Er witterte bereits die Gefahr von Meutereien, falls die politischen Häftlinge auf ihren Rundgängen auf soziale Gefangene treffen. Dies ist zum einen nicht vorgesehen, zum anderen kam es auch vor der Lockerung der Isolationshaft wiederholt zu heftigen Knastrevolten.

Die jüngste Maßnahme fällt in eine Zeit, in der die Nationalversammlung das nach einer Präsidentschaftswahl übliche Amnestiegesetz berät. Anders als im Jahre 1981 werden diesmal die politischen Gefangenen außen vor bleiben. Damals, als Action Directe noch nicht zu ihrer Politik der Anschläge übergegangen war, hatte Mitterrand Jean-Marc Rouillan und Nathalie Monigon begnadigt, die heute zum harten Kern der Gruppe zählen und im Februar zu zehn Jahren Haft verurteilt wurden. Die Phase der Öffnung der Sozialisten zur politischen Mitte läßt keinen Raum für eine Öffnung zum radikalen politischen Gegner, wenn sie nicht in Form eines lautstark präsentierten, im Gehalt aber sehr mageren Dekrets aus dem Ministerium kommt.

So stand denn auch die Kommunistische Partei mit ihrer Kritik am Amnestiegesetz in der parlamentarischen Landschaft allein auf weiter Flur. Doch der schönen neue Einheit in Sachen Amnestie droht nach der Einführung der Gruppenisolation nun der erste Riß: Die Senatsfraktion der Rechtspartei RPR will in der zweiten Lesung gegen die Vorlage stimmen, nicht etwa, weil sich die Zustimmung der Senatoren plötzlich über Nacht in Ablehnung verwandelt hat, sondern als Zeichen des Protests gegen die Anordnung des Justizministeriums.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen