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Die gefährliche Öl-Provinz Nordsee

Die Geschichte des Nordsee-Öls ist auch eine Geschichte der schweren Unfälle Ende der Ausbeutung der Nordsee ist bereits absehbar  ■  Von Manfred Kriener

Berlin (taz) - Im April 1980 ärgerte eine Foto-Montage der taz den Staatsanwalt. Sie zeigte eine gekenterte Bohrplattform mit Esso-Emblem und der Aufschrift: „Es gibt viel zu tun, packen wir's an“. Die Montage war eine Reaktion auf den bis dahin schwersten Unfall in der Geschichte der Nordsee-Ölförderung. Am 27. März 1980 war im norwegischen Ölfeld Ekofisk die Wohn-Plattform „Alexander Kielland“ untergegangen. Ein Sturm hatte einen der Stützpfeiler der Kielland eingeknickt und den Koloß in die See gestürzt. 123 der 228 Männer auf der schwimmenden Wohninsel starben.

Damals setzte in Norwegen eine heftige Diskussion über die Gefahren des Öl-Abenteuers in der Nordsee ein. Der Unfall hatte eine Unzahl von Sicherheitsverstößen und Schlampereien aufgedeckt. Doch schon damals stand die Öl-Förderung selbst nie zur Debatte. Längst war sie zu einem Standbein der norwegischen Energieversorgung geworden.

„Da ist eine ganze Industrie zu Wasser gegangen“, sagt Karl -Wilhelm Lott von der Deutschen Shell AG zu den Ausmaßen der Öl-Förderung in der Nordsee. Nach Sondierung der Öl- und Gasvorkommen Mitte der 60er Jahre löste ein Rekordjahr das nächste ab, die Öl-Förderung begann. Wichtigster Motor: die Energiekrise, die Abhängigkeit von der OPEC und von mystifizierten „launischen Ölscheichs“. Jede Tonne Nordsee -Öl ist keine Tonne OPEC-Öl, lautete die Devise. Allein 1975 wurden 175 Bohrungen in der Nordsee vorgenommen, die Förderzahlen stiegen kontinuierlich, bald zog sich ein Wald von Bohrinseln durch die See. Großbritannien verzeichnete 1970 ganze 100.000 Tonnen, 1975 lag man bei 12 Millionen Tonnen und nochmals fünf Jahre später war die Förderung aus der Nordsee schon auf 80 Millionen Tonnen geklettert. 1986 notierte Großbritannien eine Fördermenge von 128,5 Millionen Tonnen aus 33 Ölfeldern und war damit klarer Spitzenreiter vor Norwegen (40,5 Millionen Tonnen).

Heute, 15 Jahre nach der sogenannten Energiekrise ist allerdings schon das Ende der Öl-Förderung vor den europäischen Küsten absehbar, auch wenn der genaue Zeitpunkt noch nicht exakt bestimmt werden kann. Er wird vor allem von der Entwicklung des Öl-Preises abhängen. Die Öl-Reserven von derzeit 2,8 Milliarden Tonnen werden zwar noch lange nicht erschöpft sein, aber zuviele Felder sind nur unter großem finanziellen Aufwand erschließbar. „Mitte der 90er Jahre ist der Zenit überschritten“, schätzt die Shell-AG. Langfristig betrachtet bleibe das Öl-Vorkommen in der Nordsee „klein und unbedeutend“. Die Marktlogik kann sich schon bald ändern und die alte Abhängigkeit vom OPEC-Öl wieder herstellen. Mit dem Ölpreis-Sturz ist die Förderung des Nordsee-Öls an die Grenze der Rentabilität gestoßen. Bei 15 Dollar je Barrel liegt gegenwärtig der Ölpreis. Die Förderkosten für Nordsee -Öl schwanken zwischen 9 und 18 Dollar. Und die Förderung wird schwieriger, weil in immer größere Wassertiefen vorgestoßen werden muß. Technisch machbar ist alles: Im Golf von Mexiko ist man mit riesigen Bohrplattformen - „dagegen ist der Kölner Dom ein Spielzeughaus“ (Lott) - bereits in Wassertiefen von 500 Meter vorgedrungen, und vor der nigerianischen Küste wurde mit Hilfe von modernen Spezialschiffen in 1.300 Metern Tiefe gebohrt.

Mit dem Vordringen in rauhere Gewässer und größere Wassertiefen wächst aber das Risiko. Solange ferngesteuerte Unterwasseranlagen, die ohne Menschenhand arbeiten, noch Zukunftsmusik sind, solange tragen die Taucher und die Besatzungen der Bohrinseln große Risiken. Mit relativ hohen Löhnen werden sie für den gefährlichen Job geködert.

Die Geschichte des Nordsee-Öls ist nicht erst seit dem Unglück vom Donnerstag auf der „Piper-Alpha“ auch eine Geschichte der schweren Unfälle. In Norwegen war allein bis 1978 die Zahl von 235 Opfern dokumentiert. Schon 1965, zu Beginn der Nordsee-Exploration, sank die britische Bohrinsel „Sea Gem“ - 13 Menschen ertranken. Und auch ein Feuer hat es bereits einmal gegeben: Am 7.Oktober 1985 brannte nach einer Gasexplosion die norwegische Öl-Plattform „West Vanguard“. Damals konnte die Besatzung gerettet werden.

Wenn irgendwann zu Beginn des nächsten Jahrtausends die Öl -Ausbeutung der Nordsee beendet ist, wird weltweit die Öl -Förderung aus dem Meeresboden dennoch neue Rekordhöhen erreichen. Nahezu die Hälfte aller nachgewiesenen Ölreserven der Welt liegt unter den Ozeanen. Die Plünderung und Industrialisierung der Meere ist in vollem Gang. Rein technisch ist die Gleichschaltung von Ozean und Kontinent so gut wie vollzogen. Unfälle sind hier wie dort die logische Konsequenz der Risiken. Nur: Auf hoher See gibt es keinen Notausgang.

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