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GLATTER HUMBUG

■ Berlinmodell, Industriebau und Architekturkultur im Pavillon

Kürzlich trafen sich in dieser Stadt international renommierte Architekten, Stadtplaner und Designer zu einem praxisorientierten Symposium: Berlinmodell Industriekultur wurde die als Werkstatt konzipierte Veranstaltung genannt. Während eines zweiten Veranstaltungsteils im Herbst sollen die Ergebnisse, die die Fachleute zum Problemkomplex der Umnutzung von Industrieflächen erarbeitet haben, der staunenden Öffentlichkeit vorgetragen werden. Selbst die letzten Köpfe haben erkennen müssen, daß die Zeit für Neuplanung auf „grüner Wiese“ vorbei ist. Die Um- und Neunutzung nicht mehr benötigter Industrie- und Gewerbegebiete wird zum anstehenden Generalproblem im Bereich der Stadt- und Regionalplanung. In diesem Zusammenhang wurde allerorts von der „Stadtfähigkeit“ der Industriebauten geredet. Welche Bedeutung dieser ominöse Begriff im Berliner Zusammenhang gewinnen soll, muß sich dann bei dieser Vorstellung erweisen.

Im Rahmen dieser Kulturveranstaltung gibt es im Berlin Pavillon eine Ausstellung zum Thema Industriebau. Mit dieser Exposition soll der Stellenwert und die Gestaltungsvielfalt der Industriearchitektur gezeigt werden. Ein musealer Werbefeldzug also!

Der historische Teil, mit kurzen Schrifttafeln und Fotos kurz und bündig illustriert, zeigt die Entwicklung der Industriebauten von den englischen Webmühlen des frühen 18. Jahrhunderts bis zu den Maschinenfabriken vom Ende des letzten Jahrhunderts. Bis weit in das 18. Jahrhundert galt die mittelalterliche Arbeitsweise der Einheit von Arbeit und Wohnen. Mit der einsetzenden industriellen Revolution wurde die Notwendigkeiten von Industriebauten evident: größere Räume waren baulich zu überspannen, in denen Maschinen eingebaut und untergebracht werden konnten. Der Stahlskelettbau war eine architektonische Invention, die diese grundlegende wirtschaftliche Umformung hin zu den Manufakturen erleichterte. Aus den einfachen, meist erdgeschossigen Webmühlen und Eisenschmieden wurden zunächst in England, dann in Frankreich mehrgeschossige Industriedome, die den baulichen Rahmen zur industriellen Fertigung lieferten. Dampfmaschinen, Spinnereien und Eisenhütten waren die ersten Nutzer dieser Bauten. Nach kurzer Zeit wurde das Basismaterial Gußeisen gegen Stahl wegen der besseren Bearbeitungsmöglichkeiten ausgewechselt. Die Gebäude sahen aus wie ein überdimensioniertes Fachwerkhaus. Die Zwischenräume in der Fassadenkonstruktion und die Zwischendecken wurden in der Regel mit Ziegelsteinmauerwerk ausgefüllt.

Für die Übergangszeit vom nachahmenden Historismus der Jahrhundertwende zur Moderne stehen zwei legendäre Fabrikbauten: die AEG-Turbinenhalle in Moabit von Peter Behrends und die Faguswerke in Alfeld/Leine von Walter Gropius. Während Behrends für den 1910 erbauten Großbau klassizistische Gestaltungsmerkmale mit ingenieurtechnischen Neuerungen in der Statik gelungen verbinden konnte, konzentrierte sich der spätere Bauhausgroßmeister auf die optische Darstellung der konstruktiven Elemente in der Fassade des Gebäudekomplexes. Soweit, so gut in der Ausstellung. Der große Rest gerät zu einer Promo-Tour der Stahlindustrie. Da werden nicht nachvollziehbar ein paar Beispiele in Fotos aus den letzten Jahrzehnten abgehandelt. Zusammenhanglos, um die Ausstellungskonzeption zu erkennen, und zu wenig selbstkritisch, um die gezeigten Objekte beurteilen zu können. Immer wieder wird auf die tragende Wirkung des Stahlbaus verwiesen.

Zur gleichen Zeit gab es aber architektonisch, städtebaulich und ökonomisch gelungene Bauten, die mit anderen Materialien wie Stahlbeton und Holz erbaut worden sind. Da wurde ein selbstgewähltes Thema ohne Not eingeschränkt und teilweise verschenkt. So wird dem Besucher glaubhaft gemacht, das Nonplusultra im konstruktiven Bauwesen liege im Stahlskelett. Beispiele wie die Hamburger Lagerhallen, der Bahnhof in Jönköping/Schweden oder die Fabrikationshallen der Wintershall in Fulda zeigen, daß schwierige statische Probleme sich genauso sicher und elegant mit anderen Werkstoffen (Holz) lösen lassen. Die thematische Selbstbeschränkung wird nicht verständlich. Wenn eine architektonische Ausstellung in den achtziger Jahren unseres Jahrhunderts auf die isolierte Darstellung einzelner Bauwerke sich reduziert, ist das zu kurz gedacht. Städtebauliche Einbindungen und Veränderungen im Entstehungsprozeß des Bauwerks werden negiert. Übrig bleibt dann ein vermittelndes Bild vom Architekten als innovierendem Genie!

Der Ausstellungskatalog zeigt das, was solche Bände normalerweise beinhalten müssen. Einzig ein kurzer Essay des Münchner Designers Otl Aicher ist interessant zu lesen, nicht nur weil der Inhalt zu Widerspruch herausfordert: „Industriebauten sind keine Staatsarchitektur... Industriearchitektur ist immer Gegenarchitektur gewesen.“ Das ist glatter Humbug. Denn Staat, Kirche und Industriefürsten bildeten und bilden eine Dreieinigkeit der Auftraggeber, die ihre Macht, ihren Einfluß auf die Gesellschaft und ihren Wohlstand durch die Gebäude ausgedrückt wissen wollte. Industriebauten werden zur baulichen Demonstration. Diese Art von Architektur ist Herrschaftsarchitektur im direktesten Sinne und sie ist gleichwohl staatstragend. Aichers Lobrede auf die Gegenarchitektur bleibt in ihrer Argumentation unverständlich.

Mit Industriebauten und Gewerbegebieten sind Städte und Länder auf gleiche Weise zerstört worden wie die Innenstädte durch Einkaufs- und Fußgängerzentren. Wenn sich beispielsweise der Pharmagigant Schering blockweise durch den südlichen Wedding frißt, freut sich wegen der Steuereinnahmen zwar der Bezirkskämmerer, aber die entstehende industrielle Megalopolis wird zur städtebaulichen Gefahr, schon allein durch ihre Verdrängungsprozesse. Schering kauft Grundstück für Grundstück, Block für Block auf. Wohnhäuser werden abgerissen, Geschäfte verdrängt. An der Industrie vorbei wird keine Stadtplanung betrieben! Dann kann ich mich nur Aicher anschließen: „Industriebau kann nie modern sein, sondern nur gut oder schlecht“. Leider ist Gutes allzuselten in Sicht; und das nicht nur in der beschriebenen Ausstellung.

mosch

Industriebau im Berlin Pavillon, Straße des 17. Juni, S-Bahn Tiergarten, Di-So 11-19 Uhr, bis zum 20. Juli. Der gleichnamige Ausstellungskatalog kostet 42 DM, das Bier im pavilloneigenen Gartenlokal 3,50 DM.

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