: Barbie - kein Fall (mehr) für Deutsche?
Nach mehr als einem Jahr fällt dem Außwärtigen Amt in Bonn (k)eine Antwort auf die Frage ein: Hat die Bundesrepublik Auslieferungsangebote der Bolivianer im Fall Klaus Barbie im Jahre 1983 mehrfach ausgeschlagen, und wenn ja, warum? ■ Von Claus Leggewie
Seit genau einem Jahr sitzt Klaus Barbie, wegen 17 „Verbrechen gegen die Menschheit“ verurteilter Ex-Gestapo -Chef von Lyon, ebenda im Gefängnis und verbüßt seine lebenslange Haftstrafe. Ein Revisionsantrag seiner Verteidigung ist vor wenigen Wochen abschlägig beschieden worden, und so wird der 75jährige, der sich zwischen 1942 und 1944 den Ruf eines „Schlächters“ erwarb und der danach knapp 40 Jahre straflos, unangetastet und wohlauf in Lateinamerika weiter seinen dubiosen Geschäften nachging, wohl den Rest seiner Tage hinter Gittern verbringen.
Das geschicht ihm recht, meinen viele im Namen einer höheren historischen Gerechtigkeit - und das reicht dann auch als „Vergangenheitsbewältigung“, meint unsere Bundesregierung. Nachdem die Presseberichterstattung über den Barbie-Prozeß vor einem Jahr schon den Tenor eines gesamteuropäischen Umschuldungsprozesses hatte - Motto: Sollen sich die Franzosen mal um ihre eigenen NS-Leichen im Keller, sprich: um die Kollaborateure der Barbies und ihre späteren kolonialen Untaten kümmern - so haben wir den lästigen Gestapo-Mann jetzt auch glücklich in einer ausländischen Haftanstalt untergebracht. Europa ohne Grenzen - auch als historischer Entsorgungspark. Zu diesem Urteil jedenfalls könnte einen das beharrliche Schweigen unserer Regierung auf eine an sie gerichtete „Kleine Anfrage“ der grünen Abgeordneten Ellen Olms bringen. Sie stammt vom 27.Mai, wohlgemerkt des Jahres 1987, und es handelt sich dabei nicht um eine jener gelegentlich nervtötenden Profilierungsbemühungen unterbeschäftigter Volksvertreter, zu denen einem Ministerialbürokraten in der Tat nicht viel einfallen kann. Vielmehr wollten die Grünen präzise wissen, ob es zutrifft, daß die Bundesregierung Auslieferungsabsichten der Bolivianer, das heißt die Übergabe Klaus Barbies an westdeutsche Strafverfolgungsorgane, 1983 mehrfach beharrlich ausgeschlagen habe; wenn ja, wollten sie ferner wissen, ob dies damit zusammenhing, daß Barbie womöglich nach 1945 nicht bloß für den amerikanischen, sondern auch für den bundesdeutschen Geheimdienst gearbeitet und sich zwischen 1964 und 1981 mehrfach unbehelligt und in Kenntnis unserer Behörden in West-Berlin, Hamburg und anderen Städten aufgehalten haben soll.
Die Anfrage wurde im Juni 1987 vom Ministerium Engelhardt ans Auswärtige Amt weitergereicht, und sie war offenbar so kompliziert zu beantworten, daß wir erst jetzt, nach Jahresfrist, eine Antwort bekommen haben: Nein, natürlich nicht, die Bundesrepublik hat die Übernahme Barbies „zu keiner Zeit abgelehnt“, und was die „Zusammenarbeit bestimmter Personen mit dem Bundesnachrichtendienst“ anbelangt, da müssen die Grünen, die ja auch nicht für würdig befunden werden, in der parlamentarischen Kontrollkommission vertreten zu sein, Verständnis aufbringen, daß solche indiskreten Fragen „grundsätzlich nicht öffentlich beantwortet werden“. Schließlich: Ob Barbie mal in der Bundesrepublik gewesen ist, weiß die Bundesregierung nicht, und sie kennt auch niemanden, der das weiß.
Bleibt ein Verdacht im Raum stehen, den Kenner des Falles Barbie und der sogenannten „Rattenlinie“ ehemaliger SS-Leute von Europa nach Lateinamerika und zurück schon 1983 geäußert haben; der britische Journalist Tom Bower etwa hat in seiner Barbie-Reportage (Rotbuch 295, 1984) von Kontakten des damaligen Generalsekretärs im Elysee-Palast, Jean Louis Bianco, mit seinem Kollegen, Kanzleramtschef Waldemar Schreckenberger, berichtet und Biancos Eindrücke so wiedergegeben, daß der deutsche Auslieferungsantrag von 1982 so ernst nicht gemeint war, und sich die frischgebackene Wende-Regierung in Bonn schließlich unverhüllt geweigert habe, Barbies Rückkehr nach Deutschland zuzulassen. Bianco ist nach wie vor in Mitterrands Präsidialamt tätig und kann diesen Eindruck ohne Schaden für die deutsch-französische Freundschaft weder bestätigen noch dementieren, und so steht weiterhin Aussage gegen Aussage.
Immerhin rätselhaft bleibt die Erklärung der Bundesregierung, warum denn Barbie im Februar 1983 nicht, wie angeblich zunächst geplant, mit der regulären Lufthansa-Maschine La Paz - Frankfurt „überstellt“ worden ist, womit auch der in Haft sitzende Barbie fest rechnete: „Der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland hatte in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß die Verantwortung für einen sicheren Transport bei den bolivianischen Behörden als der abschiebenden Instanz liege und sichergestellt sein müsse, daß Barbie bei einer Zwischenlandung nicht entfliehen könne. Aus diesem Grund traf die bolivianische Regierung am 12.Februar 1983 die Entscheidung, Barbie nach Frankfeich auszuweisen.“
Was im Klartext wohl heißt: Die französische Regierung war bereit, ihrem Willen zur Übernahme Barbies auch Taten folgen zu lassen, sprich: das völkerrechtlich an Entführung grenzende Unternehmen logistisch und finanziell zu unterstützen, die Bundesrepublik hingegen nicht.
Das kann man als Akt strikter internationaler Gesetzestreue auslegen; man kann aber auch, wie damals sogar ein Leitartikler der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘, argwöhnen, daß wir „zu faul für Barbie“ waren und uns, nach dem wenig ruhmreichen Majdanek-Prozeß, ein weiteres Stück Vergangenheitsaufklärung ersparen wollten.
Übrigens: Serge Klarsfeld, der sich zusammen mit seiner Frau Beate um die späte Ergreifung Barbies verdient gemacht hat, hat vor wenigen Wochen in Paris einen internationalen Haftbefehl gegen Alois Brunner erwirkt, einen weiteren und weit wichtigeren Agenten der „Endlösung“ in Frankreich.
Der heute 76jährige Brunner ist wie Barbie 1954 in Frankreich in Abwesenheit zum Tode verurteilt worden und lebt unter dem namen Georg Fischer unbehelligt in Damaskus. Die syrische Regierung hat bisher - was sie wahrscheinlich als Beweis ihrer unverbrüchlich „antizionistischen“ Haltung auslegt - alle Auslieferungsbemühungen ignoriert, darunter die der Bundesrepublik. Gesetzt den hypothetischen Fall eines überraschenden Kurswechsels wie 1982 in Bolivien wollten wir Brunner haben, falls wir ihn bekommen könnten?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen