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Frederico Sanchez wird Minister

Der Exilschriftsteller Jorge Semprun wird neuer spanischer Kulturminister  ■ P O R T R Ä T

Von Lothar Baier

Der 1923 in Madrid als Sohn eines Diplomaten geborene Jorge Semprun hatte sich nach der Flucht aus Franco-Spanien im besetzten Paris einer kommunistischen Widerstandsgruppe angeschlossen und war 1943 von der Gestapo verhaftet worden. Anderthalb Jahre Buchenwald überlebte Semprun „ohne größere Beschädigungen“, wie er später schrieb, weil ihn die illegale kommunistische Häftlingsführung als Vertreter der spanischen KP unter ihre Fittiche nahm. Nach der Befreiung kehrte Semprun nach Paris zurück und kletterte in der Hierarchie der spanischen Exil-KP nach oben. Durch eine Reihe illegaler Aufenthalte in Spanien mit den Verhältnissen im Land vertraut, zerstritt sich Semprun mit der Exilführung der KP über deren Strategie, bis er 1964 hinausgeworfen wurde.

In seinen frühen Romanen (Die große Reise, 1964; Der zweite Tod des Ramon Mercader, 1974; Was für ein schöner Sonntag, 1982 u.a.) hat der Schriftsteller Semprun die formalen Techniken des nouveau roman zu Instrumenten politischer Selbstprüfung gemacht. In seiner 1977 erschienenen Autobiographie Frederico Sanchez wird in kunstlosem Klartext erzählt, was sich in den Führungszirkeln der spanischen KP abgespielt hat, bevor sich der aus dem Untergrund aufgetauchte dogmatische KP-Chef Carillo als Champion eines weltoffenen Eurokommunismus feiern ließ.

Mit dem Niedergang der westeuropäischen Kommunisten kam Semprun allmählich aber auch der produktive Reibungspunkt abhanden. In dem Roman L'Algarabie (1981) gelang es ihm noch, das Quartier Latin in Paris zum Schauplatz einer phantasievollen Satire auf die Pariser Szene zu machen. Seither schlägt immer stärker das „Positive“ in den Figuren seiner Bücher durch, symbolisiert durch den Freund Yves Montand, der sich nach Jahrzehnten linken Schwankens und Schlingerns zum uneingeschränkten Lob des Kapitalismus und zum eindeutigen Haß auf die Sowjetunion durchgerungen hat (Yves Montand, Das Leben geht weiter, 1984).

In dem Roman Der weiße Berg (1987) ist die analytische Schärfe einem bildungsgesättigten Konversationston gewichen. Im zuletzt erschienenen, ursprünglich als Filmdrehbuch konzipierten Roman Netchaiev est de retour geht es geht um französische Terroristen, die von dem Terror, dem sie abschworen, am Ende noch erwischt werden.

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