: Anti-IWF-Fall Südkorea
■ Südkoreas Ökonomie im Höhenflug / Internationaler Währungsfonds schmückt sich mit fremden Federn / Weltbankberater fordert paradoxerweise Ende der Schuldenreduzierung / „Old Industrialized Country“ USA kämpft um Zigarettenexporte nach Südkorea
Teil 19: Dirk Messner
Es gibt ihn: den Weg aus der Verschuldungskrise. IWF und Weltbank, die internationale Finanzmafia, das 'Handelsblatt‘ und die 'Financial Times‘ - kurzum: all jene, die sich um das Wohl des kapitalistischen Weltsystems sorgen - sind endlich fündig geworden. Mit Südkorea hat 1986 der erste (und bisher einzige) Großschuldner der Peripherie mit dem Abbau seiner Verschuldung begonnen. Von 1985 bis Ende 1987 konnte der Schuldenberg von 48 Milliarden Dollar auf 35,5 Milliarden Dollar reduziert werden. Trotz der politischen Revolte und der Streikwelle im Sommer 1987, mit über 3.000 Arbeitskonflikten, in deren Folge 1.000 neue Gewerkschaften gegründet wurden, wuchs das Bruttosozialprodukt um 11,1 Prozent, die südkoreanischen Exporte expandierten gar um 36,2 Prozent. Auf der Grundlage eines Handelsbilanzüberschusses von 7,7 Milliarden Dollar konnte die Außenverschuldung des Olympialandes um 18Prozent verringert werden.
Eine wahrlich erstaunliche Entwicklung, für die der IWF eine ziemlich banale, aber auch falsche Erklärung zu bieten hat. In einem IWF-Länderbericht wird der ökonomische Erfolg Südkoreas als „einzig ausgezeichnetes Beispiel“ dafür gefeiert, daß „orthodoxe Stabilisierungspolitiken, werden sie effektiv eingesetzt, einem Land helfen können, sich an externe Schocks anzupassen“.
Soziale Kosten
Großzügig übersehen werden vom IWF die politischen und sozialen Begleiterscheinungen des südkoreanischen „Wirtschaftswunders“. Vielmehr fand stets die „politische Stabilität“ des Landes Anerkennung, die bekanntlich bis zum Machtwechsel im Herbst 1987 von der Militärmaschinerie des nun ins politische Abseits geschobenen Diktators Chun Doo Hwan garantiert wurde. Auch Ronald Reagan fand bei seinem Besuch in Südkorea 1983 lobende Worte über die sozialen Fortschritte im Land der Morgenstille. Und ein weiterer Experte meinte fachkundig, der südkoreanische ökonomische Erfolg zeige, daß „Wirtschaftswachstum möglich ist für die, die hart arbeiten und insbesondere die, die am härtesten arbeiten“.
Am härtesten arbeiten die südkoreanischen Lohnabhängigen tatsächlich. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) liegt die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in der Industrie mit 55 Stunden höher als sonst irgendwo auf der Welt. Für die meist weiblichen Beschäftigten in der Textilindustrie sind 70Wochenstunden für einen Monatslohn von etwa 200 DM keine Ausnahme. Allein 1986 verunglückten in den südkoreanischen Industriebetrieben aufgrund fehlender Sicherheitsvorrichtungen 1.660 Arbeiter tödlich, weitere 140.000 wurden nach offiziellen Angaben bei Arbeitsunfällen verletzt. Auch hier liegt Südkorea an der Weltspitze.
Von diesen unschönen Folgekosten der südkoreanischen Industrialisierung sowie der brutalen Verfolgung von Gewerkschaftsaktivisten und sonstigen Störenfrieden ungehemmten Wachstums ist in den IWF-Berichten natürlich nicht die Rede, dafür umso mehr von Freihandel, Marktwirtschaft und monetärer Disziplin.
Südkorea - Musterland des
IWF?
Von einer liberalen Wirtschaftspolitik und Freihandel kann in Südkorea überhaupt nicht die Rede sein. Vielmehr spielt der Staat eine dominante Rolle im Wirtschaftsgeschehen. Importzölle schützen im Aufbau befindliche nationale Unternehmen. Konsumgütereinfuhren sind nahezu unmöglich; 87 Prozent des Finanzmarktes befanden sich bis Anfang der 80er Jahre direkt in staatlichem Besitz, private Unternehmen können Kredite bei internationalen Banken nur über staatliche Entwicklungsagenturen vermittelt akquirieren und in Fünf-Jahres-Plänen werden die Industrialisierungsphasen bis ins Detail festgelegt. Keine Spur also vom freien Spiel der Marktkräfte, dem sich der IWF verpflichtet fühlt. Auch die Behauptung von Vertretern des Währungsfonds, der jüngst ökonomische Erfolg sei gerade Ergebnis der Umorientierung von einer staatlich gelenkten Industrialisierung hin zu marktkonformen Wirtschaftspolitiken im Verlauf der 80er Jahre läuft ins Leere.
Zwar wurden seit 1981 die fünf größten Banken des Landes privatisiert, gleichzeitig jedoch ein „Industrial Policy Review Board“ eingerichtet, das berechtigt ist, über einen Teil der Kredite der privaten Banken administrativ zu verfügen. Die Privatisierung der Banken die Veränderung der Eigentumsverhältnisse hat die Verfügungsgewalt des Staates über das gesamtgesellschaftliche Kreditvolumen nur unwesentlich eingeschränkt. Beispielsweise sind derzeit per Erlaß 35 Prozent aller Kredite zur Förderung von Klein- und Mittelbetrieben reserviert. Insgesamt wird in nichtoffiziellen Untersuchungen geschätzt, daß etwa 60 Prozent des gesamten Kreditvolumens nach politisch gesetzten Kriterien der staatlichen Entwicklungsplaner vergeben werden.
In der Handelspolitik sind ähnliche Tendenzen zu konstatieren. Zwar sind mittlerweile explizite Importverbote weitgehend aufgehoben, jedoch verfolgt Südkorea weiterhin eine selektive Importsubstitutionsstrategie auf der Grundlage stärker ausdifferenzierter Zoll- und Handelspolitiken. Auch die staatlich gelenkten Umstrukturierungsanstrengungen in der Chemieindustrie laufen den landläufigen Vorstellungen von einer Liberalisierung der Ökonomie diametral entgegen. Mit dem Argument drohender „Überkonkurrenz“ wurde die Stillegung ganzer Produktionslinien in einigen Unternehmen, deren Ausbau in anderen und die Delegierung des Aufbaus neuer zukunftsträchtiger Produktionszweige an ausgewählte Firmen administrativ verfügt. Offensichtlich erinnert hier nur wenig an die marktorthodoxen Kernpunkte der IWF-Programmatik im Kontext der internationalen Verschuldungskrise.
Der Boom der 80er Jahre
Doch was ist nun die Basis des Wirtschaftsbooms der 80er Jahre? Zum einen profitiert das rohstoffarme Südkorea vom Preisverfall für Primärgüter auf dem Weltmarkt, der die Verschuldungskrise in anderen Peripheriestaaten verschärft. Zudem gelingt es der südkoreanischen Regierung neben IWF -Krediten in Höhe von einer Milliarde Dollar äußerst günstige Kapitalhilfen aus Japan zu akquirieren: 1983 wurde zwischen der japanischen und der koreanischen Regierung ein Kreditabkommen im Umfang von vier Milliarden Dollar, inklusive eines 1,85-Milliarden-Dollar-Kredites mit einem festen Zinssatz von nur vier Prozent vereinbart. Kein anderes Schwellenland hat in den 80er Jahren ausländisches Geldkapital zu derart niedrigen Zinsen aufnehmen können. Aus japanischer Sicht waren diese Kapitalexporte, mit denen vorrangig der Ausbau der Maschinenbauindustrie und anderer schwerindustrieller Branchen vorangetrieben wurde, natürlich keine altruistische Geste, sondern alimentieren die eigenen Exporte nach Südkorea.
Motor der südkoreanischen Entwicklungsdynamik der 80er Jahre ist eindeutig die Exportwirtschaft. Trotz der Stagnationstendenzen auf dem Weltmarkt expandieren die Ausfuhren zwischen 1981 und 1987 im Jahresdurchschnitt um 15,6 Prozent. Südkorea gelingt es vor allem, die Exporte in die USA enorm zu steigern, während der Handel mit Japan und der EG nur noch langsam wächst. Seit Mitte 1985 profitiert Südkorea von den „three lows“ der Weltwirtschaft, den niedrigen Ölpreisen, den fallenden Zinsen auf den internationalen Kreditmärkten und dem sinkenden Dollar.
Während die niedrigen Ölpreise und die sinkenden Zinsen direkt die Leistungsbilanz entlasten, wirkt sich der Verfall des Dollars widersprüchlich auf die südkoreanische Ökonomie aus. Die südkoreanische Entwicklungsbürokratie wertet den Won etwa parallel zur US-Währung ab und stabilisiert so die Absatzchancen für südkoreanische Waren auf dem US-Markt. Die damit verbundene Aufwertung gegenüber dem Yen (1985/86 etwa 75 Prozent) verbessert die Konkurrenzfähigkeit der Exportprodukte gegenüber japanischen Gütern auf den Weltmärkten. Diese positiven Effekte vermögen die negativen Effekte in Form steigender Preise für Importe aus Japan überzukompensieren.
Die USA als Rohstoffexporteur
Im Zentrum der Krisenbewältigung des ostasiatischen „Newly Industrializing Country“ steht also das sich wandelnde ökonomische Verhältnis zwischem dem „Old Industrialized Country“ USA und dem „Newly Industrializing Country“ Südkorea. Die positive Handelsbilanz Südkoreas basiert fast ausschließlich auf den Überschüssen im Handel mit der ehemals strahlenden westlichen Hegemonialmacht. Aus einem Defizit in bilateralen Handel mit den USA in Höhe von 500 Millionen Dollar im Jahr 1981 wurde bis 1987 ein Überschuß von 9,6 Milliarden Dollar. Aus dem ehemaligen „Juniorpartner“ ist den USA ein ernsthafter ökonomischer Konkurrent erwachsen. Kein Wunder, daß Vertreter des US -Handelsministeriums in Seoul Sturm laufen, um Handelsliberalisierungen zu erzwingen.
Richard Gebhardt, der Handelsexperte der Demokraten, ist längst bescheiden geworden. Er fordert die Regierung in Seoul auf, den Abbau von Zollschranken in einer Branche einzuleiten, in der die US-Unternehmen noch weltweit konkurrenzfähig zu sein meinen: „Niemand träumt davon, daß unser Defizit mit Südkorea sich in Luft auflöst, aber die Öffnung des koreanischen Zigarettenmarktes könnte ein Symbol für die nötige Liberalisierung sein.“
Tatsächlich offenbart ein Blick in die Handelsstatistik die asymetrischen Austauschstrukturen zwischen Südkorea und den Vereinigten Staaten: Während 97,3 Prozent der südkoreanischen Exporte aus dem industriellen Sektor stammen und davon beinahe ein Drittel auf Maschinen- und Transportausrüstungsgüter entfällt, bestehen die Importe aus den USA zu 42,9 Prozent aus Rohstoffen und Nahrungsmitteln. Die USA exportieren nur schwerindustrielle Produkte im Wert von etwa 3,5 Milliarden Dollar nach Südkorea.
Angesichts der enormen Abhängigkeit der südkoreanischen Exportökonomie vom US-Markt und um protektionistischen Maßnahmen vorzubeugen, hat die Regierung in Seoul eine „Buy -American„-Kampagne gestartet. In Zukunft sollen japanische Importe wenn möglich durch amerikanische Produkte substituiert werden. Ende 1987 wurde aus Seoul als Zielvorgabe eine Reduzierung des Handelsbilanzüberschusses im bilateralen Austausch auf fünf Milliarden Dollar genannt. Doch trotz einer eiligen Bestellung von zehn US-Boing Jumbo -Jets im Wert von rund 1,5Milliarden Dollar im April diesen Jahres, ist dieses Maß schon im ersten Halbjahr überschritten. Realistischerweise kann Washington für 1988 ein 13-Milliarden-Defizit im Handel mit Südkorea einplanen.
Der Bluff des IWF
Was lehrt uns nun der Fall Südkorea über den IWF, wenn uns schon der IWF nichts über Südkorea lehren kann? Zum einen dokumentieren die Analysen des Währungsfonds zu Südkorea, daß die politischen und sozialen Rahmenbedingungen nur unter dem Gesichtspunkt der Wahrung günstiger Kapitalverwertungsbedingungen berücksichtigt werden.
Abstrahieren wir von der politischen Sphäre und beschränken uns auf die Ökonomie, so ist zweitens festzustellen, daß der Währungsfonds anderen Schuldnerstaaten, mit explizitem Verweis auf den „erfolgreichen Musterschüler“ Südkorea, brutale Liberalisierungs- und Entstaatlichungsmaßnahmen aufherrscht. Der Boom in Südkorea basiert jedoch auf wirtschaftspolitischen Strategien, die in absolutem Gegensatz zu den marktapologetischen Programmen des IWF stehen. Das einzige Schuldnerland, daß seinen Schuldenberg abträgt, entpuppt sich als „Anti-IWF-Fall“.
Und drittens entschleiert der Fall Südkorea die Parolen der Gläubigerseite im internationalen Verschuldungstheater, die eine Lösung des Problems über vermehrte Exportanstrengungen der Peripheriestaaten versprechen, als blanke Ideologie. Kaum steht mit Südkorea ein Schuldner auf der Bühne, der über Exportsteigerungen und eine positive Handelsbilanz seine externen Verbindlichkeiten reduzieren kann, schon tauchen die Experten der Weltbank auf und fordern eine Eliminierung der Leistungsbilanzüberschüsse, da diese „die weltwirtschaftlichen Ungleichgewichte zusätzlich verschärfen“. Südkorea wird also von den gleichen internationalen Akteuren auf der einen Seite als Beispiel einer gelungenen Bewältigung der Verschuldungskrise gelobt, die auf der anderen Seite den Abbau der südkoreanischen Leistungsbilanzüberschüsse als Grundlage der Schuldenreduzierung anmahnen.
Offensichtlich verhindern die weltwirtschaftlichen Widersprüche schon rein theoretisch eine Lösung des Verschuldungsproblems über einen Exportboom der Entwicklungsländer. Denn wenn die Peripherie ihre Schulden aus Handelsüberschüssen bezahlen soll, so müßten die Industrieländer Leistungsbilanzdefizite hinnehmen. Neben der Dritten Welt sind aber auch die USA gezwungen, ihre enormen Handelsungleichgewichte abzubauen, sprich ihre Importe zu drosseln. Dieses weltwirtschaftliche Gleichungssystem läßt sich nicht harmonisch auflösen. Der Fall Südkorea demonstriert den Konflikt beispielhaft.
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