: Engagiert und ungebrochen
Aus seiner Zelle, in der er seit sechs Jahren sitzt, kämpft Bernd Potrick für die Rechte ausländischer Mitinhaftierter / Zeit und Gelegenheit, auch im Knast ein Kind zu zeugen ■ P O R T R A I T
Man erkennt ihn an seiner Schreibmaschine: kursive Schreibschrift-Typen. Ein- bis zweimal wöchentlich kommt Post von ihm bei den Behörden an. Die versuchen seine Briefe zu ignorieren und schicken sie kommentarlos zurück. In jedem dieser Briefe macht sich Bernd Potrick für einen seiner ausländischen Mitinhaftierten stark. Zur Zeit vertritt er von seiner Zelle aus die Anliegen von insgesamt 35 Menschen. Sein nicht zu überbietendes Engagement hat ihm jetzt eine Klage wegen Beleidigung eingebracht.
Bernd Potrick selbst sitzt wegen schweren Diebstahls im Knast. Für seine Spielsucht hat er mindestens 70 Juweliereinbrüche begangen, die erbeuteten 1,5 Millionen Mark beim Spielen jedoch sogleich wieder verloren. Zwei Jahre Haft stehen dem 33jährigen noch bevor, sechs hat er schon hinter sich. Wenn sein Name fällt zuckt die Anstaltsleitung zusammen. Potrick gilt als nicht zu bändigender Querulant; schlimmer - Potrick hat Humor. So gelang es ihm beispielsweise, als ihn seine Frau im Knast besuchte, ein Kind zu zeugen. Anschließend zeigte er den Justizsenator wegen versäumter Aufsichtspflicht an und forderte Alimente für seinen inzwischen vier Jahre alten Sohn. Leider ohne Erfolg.
Die jetzt gegen ihn gerichtete Klage wegen Beleidigung bezieht sich auf eine Postkarte, die er dem Verwaltungsrichter Kunath geschickt hat. Auf dieser Postkarte ist eine Karikatur von Kunath zu sehen. Über dem Richter steht der Grundgesetz-Artikel „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“, unter ihm steht der Satz „Kuhnath ... nimmt de facto den Tod eines Kindes in Kauf, um seine Karriere zu fördern!“ Potrick: „Kunath findet diese Postkarte vielleicht verletzend. Aber sein Urteil war noch viel verletzender.“ Dieser Satz bezieht sich auf ein Urteil, das der Verwaltungsrichter Kunath 1987 gegen den Libanesen Ali Ayoub, Potricks ehemaligen Zellenmitbewohner, gefällt hatte.
Potrick führte damals eine regelrechte Kampagne gegen die anstehende Abschiebung Ayoubs in den Libanon. Er schrieb dem Innensenator und dem Petitionsausschuß. Ayoub müsse - schon allein wegen seines kleinen Sohnes - bleiben. Dieses Kind hat Ayoub zusammen mit einer deutschen Frau, wobei der Vater das Sorgerecht hat. Das Kind ist magenkrank, ein Leben im Libanon sei für beide unzumutbar.
Potrick schrieb an alle Bundestagsabgeordneten, an alle Innen- und Justizminister der Länder, an sämtliche Petitionsausschüsse und an die Vorsitzenden der Parteien. Heute hat er in Sachen Ayoub 15 Aktenordner.
Beinahe täglich telefonierte Potrick mit dem zuständigen Verwaltungsrichter Kunath und versuchte ihn davon zu überzeugen, daß Ayoub mit seinem Kind in Berlin bleiben muß. Kunath entschied: Ayoub wird ohne Wenn und Aber abgeschoben.
Potricks Bemühungen zeigten dennoch Erfolg, wenn auch keinen vollen. In zweiter Instanz, von einem anderem Richter, wurde Ayoub erlaubt, Anfang 1990 zusammen mit dem Jungen nach Berlin zurückzukehren. Kunaths Urteil mochte Potrick jedoch nicht vergessen. Er ließ jene Karikatur, wegen der er jetzt angeklagt ist, von einem ebenfalls inhaftierten Maler zeichnen und schickte sie als Postkarte mit einer „belanglosen Sachstandsfrage“ ab.
Rechtsanwalt Hoeppner argumentiert mit der Kunstfreiheit. „Abgesehen davon muß es möglich sein, Gerichtsentscheidungen zu kommentieren.“ Man wolle aber Potrick - wann immer möglich - eins auswischen.
Elisa Klapheck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen