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Die Freiheit zwischen Arbeit und Heroin

■ Eine 25jährige Frau, die sich durch „Anschaffen“ und diverse kriminelle Mittäterschaften das benötigte Geld verdiente, darf sich nach dem Spruch des Bremer Schöffengerichts drei Jahre lang „in Freiheit bewähren“

„Das wäre schon gut“, sagt die 25jährige Angeklagte G. „Sie haben das letzte Wort...“ belehrt sie der Richter Dr. Hoffmann. Aber sie hat nichts mehr zu sagen. 8 Monate Gefängnis auf Bewährung - sie wäre einverstanden.

Kaum eine Stunde hat die Gerichtsverhandlung gedauert, auf insgesamt 7 Delikte kommt die peinlich korrekte Aufzählung des Staatsanwaltschaft - die Angeklagte hat gleich einen dreifachen Scheckbetrug mehr gestanden als die Akten ihr vorwarfen: „Mittäterschaft“ beim Einbruch im Haus von Bekannten, deren Kin

der sie beaufsichtigt hatte. Diebstahl eines Sparbuches bei einem Mann, der sie freundlicherweise ab und an bei sich wohnen ließ („Das Sparbuch, das lag so da“). Mit einem anderen Bekannten machte sie nachts einen „Bummel“ durch die Bremer City und während sie „Schmiere stand“, stieß er mit dem blanken Ellenbogen die Scheibe zu einem Kaufhaus ein und holte ein Video-Gerät heraus. Ein flüchtiger Bekannter hatte eine Scheckkarte bei einem Auto-Bruch gefunden, die auf eine Frau lief - und so zog G. mit zum „Einkaufsbummel“

durch mehrere Geschäfte. Für sie selber fiel außer zwei T -Shirts und einem Gürtel immer wieder nur hier und da ein Fünfzigmarkschein ab. Wenn überhaupt, denn bei dem Einbruch hatten Nachbarn die Polizei alarmiert, beim Klirren der Kaufhaus-Scheibe ging die Sirene los und beide Male wurde G. erwischt. Auf dem gestohlenen Sparbuch waren nur 72.-Mark drauf. Mit der Scheckkarte fiel G. auf, weil sie nicht wußte, daß die Kaufhäuser bei größeren Beträgen beim Kreditinstitut nachfragen.

So naiv dilettantisch die Stufen

ihrer kriminellen Karriere, so einsichtig und geständig gab sie sich vor Gericht. Das Schöffengericht war versucht, ihr deshalb auch abzunehmen, daß sie seit zwei Monaten wirklich „clean“ sei. Denn das Motiv ihrer „Beschaffungs-Karriere“ war ihre Abhängigkeit von Heroin gewesen, so „zwei Druck“ pro Tag habe sie gebraucht, erklärte sie. Richter kennen sich inzwischen mit den Preisen aus: ca. 2000 Mark pro Monat habe sie also benötigt, rechnete der zusammen. Und wollte natürlich wissen, wie sie das Geld zusammenbekom

men hatte, denn die angeklagten Taten ergaben nur einen Bruchteil der Summe. Anschaffen sei sie gegangen, erläutert sie, und habe sehr darunter gelitten. Die gestohlene Scheckkarte zum Beispiel habe für sie bedeutet, daß sie zwei Tage mit dem Anschaffen aussetzen konnte: „Das war mir wichtig.“ Die drei Männer auf der Gerichtsbank schweigen, einer blickt angestrengt weg. Man wechselt das Thema. Vorstrafen? Nur Schwarzfahren.

Wie kommt eine 25jährige Frau in eine derartige Lage? Eigentlich ganz normal: 1980 hat G. Realschulabschluß gemacht, war danach erst arbeitslos, hat dann ein paar Monate bei Kafu gearbeitet. Dann hat sie eine Ausbildungsstelle zur Bürogehilfin bekommen bei Brinkmann, die Prüfung bestanden. Und? „Der ganze Ausbildungslehrgang ist entlassen worden.“ 1985 bekam sie dann eine ABM-Stelle bei den Jugendwerkstätten. Das sei ein „psychischer Streß“ gewesen, berichtet G. dem Gericht. Denn bei den Jugendwerkstätten sei auch die Verwaltung per ABM eingestellt, also wollte eine die andere „ausstechen“ im Kampf um den Arbeitsplatz. Sie sei „ziemlich überfordert“ gewesen, habe mit Hasch angefangen, ir

gendwann sei sie dann auf Heroin umgestiegen.

Ein paar Tage im Krankenhaus haben ihr nun zu neuen Kontakten verholfen und zu neuem Willen, aufzuhören. „Daß man nicht mehr mit dem Steintor zu tun hat“, sei wichtig, erklärt G. Ein Arzt verschieb ihr das Ersatz-Mittel Remedacen. „Ach Du lieber Gott“, entfährt es dem Richter, aber daß sie nicht zur Drogenberatung gegangen sei, findet er richtig: Das sei „nicht so empfehlenswert“, da träfe man schon „50 Meter davor die ersten Junkies“. Arbeit hat sie seit Jahren keine mehr bekommen, das Abitur will sie jetzt nachmachen. Ob sie sich nicht um Arbeit bemüht habe, fragt der Richter skeptisch nach. Ein Aushilfsjob in einer Kneipe sei ihr angeboten worden, erklärt sie. Der Richter horcht auf, will wissen, warum sie die Arbeit denn nicht nimmt. „Ich weiß nicht, ob mir das so liegt, mit Betrunkenen umzugehen.“

Acht Monate Gefängnis, für drei Jahre zur Bewährung (mit einem Bewährungshelfer) ausgesetzt, und 30 Tage gemeinnützige Arbeit lautet das zusammenfassende Urteil über die 25jährige Frau. Sie müsse sich nun „in Freiheit bewähren“, schärft ihr der Richter noch einmal ein.

K.W.

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