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G R O B V E R K Ü R Z T

■ B Ü H N E B E R L I N

Wir sind in einem Stück von Maxim Gorki, „Nachtasyl“. Aber hier ist nur eine Figur aus Gorkis Gesellschaft der Verlorenen, allein. Die anderen, von denen nichts mehr erwartet wird und die sich eben deshalb auch selbst nichts mehr versprechen - sie werden wohl woanders sitzen. Wahrscheinlich ähnlich wie dieser: Er ist kaum 30, seine Haare sind unzeitgemäß lang und speckig dazu, seine Schuhe fallen bald auseinander. Rasiert ist er, einigermaßen. Er trägt eine Art Anorak von schmutzigem Blau. Er schläft. Oder nicht? Jetzt kommt er kurz hoch aus seiner gebückten Sitzhaltung, Beine breit, Ellbogen auf die Knie gestützt. „Ich laß mich doch nicht verarschen“, sagt er, ein bißchen mühsam, und natürlich sieht man sofort, daß er unrecht hat. Vielleicht weiß er es selbst. Wenn man ihm gegenüber sitzt, weht einen ein scharfer Schnapswind an. Er zeigt es allen: Nur so aussehen muß er, schon ahnt jeder, der es wissen will, warum einer so jung so sitzt, und warum es keinen kümmert. Ein paar halbwüchsige Schulkinder lachen - Schüler sind immer ein schwieriges Publikum. „Euch wird das Lachen noch vergehen“, lallt er und weiß vielleicht gar nicht, wie recht er hat. Sein Blick sucht nichts mehr. Er gehört, ganz offenkundig, nicht mehr „dazu“. Es ist die szenische Negation dessen, was wir erreichen zu müssen glauben. Ein ziemlich schockierendes Bild, Endstation. Mitleid will er sich verbitten wollen. Er hat einen merkwürdigen Stolz auf das, was er jetzt ist. Manchmal braust er unvermittelt auf; alle erschrecken. Schwer zu sagen, wofür diese Figur steht: ein Vorwurf? Eine Anklage? Schicksal? Ökonomische Logik? Wir sind in der U-Bahn, Linie 8, vom Paracelsus-Bad zur Leinestraße. Dieses Stück ist nicht von Gorki. Nicht einmal ein Nachtasyl ist dieser Zug.

Klaus Nothnagel

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