: „Alle nehmen etwas“
Die unendliche Geschichte: Radsport und Doping ■ PRESS-SCHLAG
Die Tour de France ist ein beständig sprudelnder Quell für schöne, wilde und abenteuerliche Geschichten. Aber auch für solche, die nicht so recht ins Bild dieses Heldenepos‘ passen. So erzählt beispielsweise ein Reporter, der die große Schleife ein paarmal begleitet hat, wie er Zeuge wurde einer Unterhaltung zwischen einem Tour-Verantwortlichen und dem Leiter eines Rennstalles, der sich über irgendetwas beschweren wollte. Er solle, so wurde ihm vom Funktionär beschieden, endlich die Klappe halten, schließlich habe man da noch Urinproben seines Stars.
Der Radsport lebt schon lange mit dem Vorwurf, kein Fahrer könne die Strapazen dieses Sports ohne die Einnahme verbotener Mittelchen überstehen, und die Liste der ertappten Sünder liest sich wie ein Adelsbrevier der Branche: Merckx, Wolfshohl, Gimondi, Motta, Zoetemelk, Thurau.
Im Normalfall aber sind es nicht die Sieger, die des Doping überführt werden. So läßt sich prima Politik machen. Man schnappt einen aus der hinteren Reihe, präsentiert ihn der Öffentlichkeit als Buhmann und hat damit zweierlei bewiesen: es wird erstens scharf kontrolliert, und zweitens sind alle anderen sauber.
Daß mit Pedro Delgado der Spitzenreiter als Medizin-Mann ausgemacht wurde ist deshalb etwas besonderes, und die Vermutungen aus Spanien, dahinter stecke Absicht, ist nicht ganz unsinnig, umgeben den Fall doch einige Ungereimtheiten. Urinproben werden codiert, ein positiver Befund darf erst nach der positiven Gegenprobe bekannt gegeben werden.
Bei Delgado gab es sofort Gerüchte, und den Analytikern hätte zudem bekannt sein müssen, daß „Provenicid“ zwar auf der schwarzen Liste des IOC steht, vom Internationalen Radverband jedoch erst ab August als geächtet gilt.
Bestraft werden konnte Delgado damit nicht, und es bleibt ihm die zweifelhafte Ehre, als erster Tour-Sieger offiziell der Einnahme eines Mittels überführt zu sein, welches den Nachweis eigentlicher Stimulanzien unmöglich macht. Seine Kollegen übten Solidarität, und der deutsche Jung-Profi Kappes sprach mit entwaffnender Naivität: „Natürlich wird etwas genommen, damit sich die Fahrer schneller erholen. Aber das ist sicher nicht nur im Radsport der Fall.“
So gesehen hat wirklich nur der Schnellste gewonnen.
Thömmes
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen