piwik no script img

DAISY DANTE BEIM DÜMPELN

■ "Wannsee-Spektakel Inferno" infantil / Schlechter Rosenmontagszug

Wenigstens Volksfest, der Berliner am Wannsee, Schultheissgeschwemme, Straucheln im märkischen Sand, trampelige Triebhaftigkeit oder so was hätte man erwarten dürfen. An eine irgendwie vorstellbare Inszenierung von Dantes „Inferno und Paradies“ unter der Schmierenregie von Bauernfeind in diesen schwachsinnig hybriden Dimensionen kann ja wohl keiner geglaubt haben.

Aber nein, nichts. An der Bewirtschaftung lag es nicht. Auf jeden auf seine eigene Art enttäuschten Besucher des „Spektakels“ kam eine Bude. Gezapftes Glasbier, vietnamesisches Kimfleisch, Kamelle, Campari-Osaft, Strohblumenarrangements und Schmuckstickers und Rostbratwurst. Sogar Kaffee. Arm sind die verkalkulierten Kleinunternehmer, denen nicht mal die frustrierten Randgruppen blieben.

Was war geschehn? Trotz fast amerikanischer Connection zwischen „Kunst und Kommerz“ (2,2 Millionen Wirtschafts -Sponsoren, 1,3 Millionen Kultursenat an den 3,5 Millionen Produktionskosten) kam keinerlei Entertainment auf. Alle Register des deus ex machina waren angespielt: Illusionen, Quatrophonen, Phantasie. Klassiker des musikalischen Hausschatzes Marke „Gefühlvoll und Populär“ dudelten wie das von James Last interpretierte Gesamtkunstwerksideal über die Sandburgen, unter denen sich Wagner im Grabe wälzen würde.

Rosenmontagsdekorationen, für die sich Mainz schämen müßte, wurden von lustlosen Komparsen in Bermudashorts am Ufer längs geschoben. Die sieben Todsünden als Flatterdrachen, der zähnefletschende Minos als zähnefletschende Kasperlekulisse, die apokalyptischen Reiter als Reiter Dante für Doofe. Den gleichmäßig vom Leuchtfeuer des Ostfernsehturms durchzuckten Wannsee kreuzten derweil einige Frachter mit Lichträdern, Feuerwehrspritzen, Theaterkulissen oder auch mal einer Stadtteiltanzgruppe drauf. Schwimmer, Reiter, Ruderer, Wasserskifahrer mit Wimpeln, Fackeln oder Fähnchen schieben ab und an vorbei, jeweils passend zur betreffenden Dantestelle: „Erfüllt den Osten (kommen die Lichtlein vom Ostufer angeschwommen) ganz mit seinem Lächeln und hüllt die Fische ein, die bei ihm waren.“ Bei „Perle“ erscheint die kreisförmige Silberprojektionsfläche, bei „Orgie“ schwant ein Floß mit enthemmten Carmens in Rot und Gigolos in Weiß vorbei. Bei „Hölle“ illuminiert sich der gegenüberliegende Wald ein bißchen bengalisch, bei „Wehklagen“ wehen weiße Bändel jämmerlich übers Wasser.

Ekstase wollen die stoßweise geblähten und prallen Luftschläuche versinnbildlichen (zu Strawinskis Feuervogel natürlich) - und ihnen allein in ihrer rosanen und zitronigen Kunstseidigkeit gelingt tatsächlich, die einzig adäquat lächerliche Dramatik zu simulieren. Völlig hirnrissige Erektionen aus Fürzen bohren sich in den suppigen Nachthimmel und knicken grazil wie Spinnenbeine drunter ab.

Das als magere Sensation eines billigsinnigen Effekteverramschens: Disney-Pop, hier hätte es lustig werden können. Doch nicht mal das kriegen die TdW-Profis der Publikumsverblödung zustande. Die sonore Stimme heuchelt weiter in wunderbar hexametrierten Reimen von Höllenpein, Liebe, Gnade und innerer Einkehr, die Adagios zwingen den Weltschmerz glücklich vergessener Liebesunglücke heraus (nie war man damals am Strandbad Wannsee), und das Paradies ist bloß ein mattes Verpuffen von vier Raketendolden.

„Betrug“, nein, den hätten wir gefeiert „Unverschämtheit“, das ist höchstens die Langeweile - aus Größenwahn gepaart mit Dummheit. Nicht mal der Berliner ist so blöd, jede Kulissenschieberei mit Budenzauber, pyrotechnischen Gags, Großleinwänden, Wasserspiegelungen, Krachern und Eroica-Hits und statistischen Massenchoreographien als großartig zu befinden. Die dumpfe Totalinszenierung ohne die Köpfe, in denen sie sich verwirklichen müßte, bringt nicht mal die Faszination des Einfältigen zuwege. Ein Furz, der nicht mal stinkt, ist überflüssig. Es gibt kein richtiges Disneyland im Deutschen.

„Dort, wo das große Weinen mich erschüttert“ - weinen wer'n wir nicht, aber ins Theater gehen wir dort bestimmt auch nimmer mehr wieder. „Treibt die Geister hin in Wirbeln“ und das schlabberige Wannseewasser kaut vor sich hin, unbeeindruckt von den Millionen, die wie Sylvesterverrecker kurz aufkräuselnd in ihm verenden. Die Natur verschluckt ihre dumpf hybriden Operettendesigner und nimmt hoffentlich nicht allzuviel übel.

Vogel

PS: Ein Pferd, das beim ersten „Spektakel“ in weiße Fummel gehüllt, angstvoll am Ufer entlang getrieben wurde, starb.

PPS: Wer nur eine Mark mehr als den Eintrittspreis investiert, kann für denselben Preis in allen guten Buchhandlungen „Die Göttliche Komödie“ als Buch käuflich erwerben. Und seiner Phantasie freien Lauf lassen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen