: Goldfinger im Stuttgarter Wohnungsamt
Städtischer Angestellter wegen Bestechlichkeit verurteilt / Für 200 bis 1.500 Mark wurden Notfallanträge frisiert Hauptsächlich Ausländer gehörten zur Klientel des Angeklagten / Vorgesetzte merkten 12 Jahre lang nichts ■ Aus Stuttgart Dietrich Willier
„Nehmen sie ihre Kopfbedeckung ab!“ Nach welcher Rechtsvorschrift, will der Prozeßbesucher im Stuttgarter Landgericht wissen? „Es gehört sich nicht!“ - Landrichter Ott ist grantig. Klein, schmal, den Kopf in Erwartung seines Schicksals gesenkt, so sitzt der Angeklagte vor seinem Richter. Das Urteil, das letzte Woche gefällt wurde: Zwei Jahre und neun Monate Gefängnis wegen Bestechlichkeit.
Als gelernter Polsterer sei er aus Dresden gekommen, resümiert Richter Ott, schwer habe er es gehabt. Dann öffentlicher Dienst beim Landeskriminalamt, und seither im städtischen Wohnungswesen. Der Angeklagte ist 52 Jahre alt, verheiratet, und hat fünf Kinder. Schon einmal, vor sieben Jahren, hatte er wegen Bestechlichkeit vor einem Stuttgarter Amtsrichter gestanden. Nachgewiesen werden konnte ihm nichts. Bestraft, wegen übler Nachrede, wurden die, die ihn angezeigt hatten
Jetzt, in den 17 Verhandlungstagen seines zweiten Prozesses, hatte er zugegeben, schon damals Geld für die Vermittlung städtischer Wohnungen genommen zu haben. Zwölf Jahre lang wollten auch seine Vorgesetzten im Amt nicht gemerkt haben, welch glückliche Wendung die Wohnungssuche griechischer und türkischer Familien nahm, hatte der Angeklagte erst einmal die Finger im Spiel. Für einen Umschlag mit 200 bis 1.500 Mark cash tauchten jahrelang in der Versenkung der Notfallkartei schlummernde Akten wieder auf. Für cash wurden Notfallanträge frisiert und manipuliert.
Gefordert, so Richter Ott, habe der Angeklagte nichts, aber genommen. Wer keine, eine zu kleine oder verschimmelte Wohnung hatte - das hatte sich unter Griechen und Türken seit Jahren herumgesprochen - nehme das letzte Ersparte oder einen Vorschuß, und wende sich vertrauensvoll an HerrnR. vom Stuttgarter Wohnungsamt. Doch Herr R. kam auch persönlich zum Hausbesuch, um den Umschlag auf dem Kanapee an sich zu nehmen, oder er traf seine Klientel in einer griechischen Altstadtkneipe - zur gemeinsamen Antragsbearbeitung.
32 Fälle von Bestechlichkeit hielt das Gericht für erwiesen. Die Ermittlungen waren mühsam. Viele Zeugen hatten sich erst gar nicht gemeldet, hatten aus Angst jede Aussage verweigert, oder sich im Prozeß plötzlich an nichts mehr erinnert.
Derlei Wohnungsvermittlung, grollte Richter Ott, möge ja in den Herkunftsländern der Betroffenen nicht ganz unüblich sein. Sie hätten es dem Angeklagten damit leicht gemacht. Wohlhabend sieht dieser nicht aus, seit zwei Jahren ist R. aus dem öffentlichen Dienst entlassen und arbeitet als Subunternehmer einer Transportgesellschaft. R. blickt zu Boden. Nur einmal, zu seinem Schlußwort, hatte er sich ganz aufrecht seinem Richter zugewandt: „Wenn Sie mich ins Gefängnis sperren, können Sie mich auch gleich mit dem Tode bestrafen.“
„Endlich wieder auf freiem Fuß“ künden großflächige Werbeposter für Damenschuhmoden im Stuttgarter Gerichtsviertel. Weder auf freiem noch auf großem Fuß wird der Verwaltungsangestellte R. seine nächsten Jahre verbringen.
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