Die Kids von Anna Livia

Dublin boykottiert einen von Jefferson-Smurfit“ gestifteten Joyce-Brunnen  ■  Aus Dublin Ralf Sotscheck

James Joyce nannte Dublin „die Sau, die ihre Ferkel frißt“. Jetzt haben sich die Stadtväter an dem Dichter gerächt. Mitten auf Dublins Hauptstraße, der O'Connell Street, ließen sie einen Brunnen errichten, der nach einem Werk von Joyce „Anna Livia“ getauft wurde.

Der Brunnen ist recht häßlich. Er besteht aus zwei Becken. Im oberen Becken sitzt „Anna Livia“, eine über vier Meter große und eineinhalb Tonnen schwere Bronzestatue, der ständig das Wasser aus einem Springbrunnen auf den Kopf plätschert. In das untere Becken soll die Bevölkerung ihr Kleingeld werfen, das die Stadtverwaltung dann „für einen wohltätigen Zweck“ verwenden will. Doch die Kinder sind schneller. Kaum wirft ein gutgläubiger Bürger eine Münze ins Wasser, fischen die Kids sie wieder heraus.

Schon zur Enthüllung des Brunnens ging alles schief. Der Redner der Industriegruppe „Jefferson-Smurfit“, die das Brunnen-Ungetüm gestiftet hatte, blieb stumm. Demonstranten hatten alle Mikrofonkabel abgeschnitten und den ersten Stock des gegenüberliegenden Fast-Food-Ladens besetzt. Dort hängten sie Transparente aus dem Fenster, um gegen die Auslieferung politischer Gefangener an Großbritannien zu protestieren. Der Chor, der die Brunnen-Enthüllung mit einem feierlichen Lied begleiten sollte, gab entnervt auf. Gegen den Lärm der Demonstranten hatte er keine Chance. So mußte der Brunnen formlos der Öffentlichkeit übergeben werden.

Das störte diese jedoch wenig. Die Dubliner haben dem Brunnen längst den Namen „Bidet Mulligan“ gegeben - in Anlehnung an das alte irische Volkslied „Biddy Mulligan“. Sie nutzen den Brunnen auf unterschiedliche Art: Sie baden ihre vom Einkaufsstreß geplagten Füße in der grauen Brühe oder benutzen ihn als Müllkippe. Schon am Tag nach der Enthüllung schwammen Cola-Dosen, Plastikbecher und Zigarettenstummel im Wasser. Sogar ein Fisch war zu sehen allerdings ein frittierter aus oben erwähntem Fast-Food -Laden. Drei Tage später war der Brunnen trockengelegt. Vermutlich hatte der Müll die Leitung verstopft.

Die Kinder aus den nahen Wohnsilos der Cumberland Street haben ihre Freude an Dublins neuester Sehenswürdigkeit: mit Eimern bewaffnet sitzen sie im Brunnen und harren der Touristen. Wagt sich ein ahnungsloser Urlauber zu nah an „Anna Livia“ heran, wird er mit zwei, drei Eimern Brunnenwasser übergossen und muß zurück ins Hotel, um die Kleidung zu wechseln. Die Polizei ist machtlos. Die Beamten trauen sich nicht in die Nähe des Brunnens, weil sie sonst das gleiche Schicksal wie die Touristen ereilen würde. Die Kids wiederum müssen im Wasser bleiben, um nicht den lauernden Polizisten in die Hände zu fallen. Meistens haben die Kinder jedoch den längeren Atem, und die gelangweilten Ordnungshüter geben die Belagerung auf. Bei gutem Wetter kann man das Schauspiel den ganzen Tag beobachten.