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Mit weißen Limousinen auf Stippvisite in Chatila

Der Generaldirektor des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge begutachtet die Aufräumungsarbeiten im zerstörten Flüchtlingslager in Westbeirut / 159 Familien leben in Trümmern, ohne Strom und Trinkwasser  ■  Aus Beirut Petra Groll

Der Fahrer stemmt sich auf die Hupe, kurbelt das Fenster herab und beschimpft die Leute. Sie sollten sich aus dem Weg machen. Auch die uniformierte und bewaffnete Eskorte der „inneren Sicherheit“ kann - dem Konvoi nur wenig Respekt verschaffen. Marktzeit in Sabra. Klobige Eselskarren säumen die Straßenränder, Hausfrauen mit Kindern im Schlepptau balancieren Fladenbrot auf dem Kopf, dickbusige Matronen verhandeln wildentschlossen über Preise und Qualität des Gemüses. Ein Schlachter schleppt mit gebeugtem Rücken eine Ochsenkeule über die Straße. Der Dunst von frischgeschlachtetem Vieh und vollreifen Früchten vermischt sich mit dem Aroma von frischem Kaffee und ofenwarmem Frühstücksgebäck.

Wildes Treiben, Alltagsleben satt im dicht bevölkerten Slumvorort der libanesischen Hauptstadt. Die fünf strahlend weiß gespritzten Limousinen mit der weithin sichtbaren hellblauen Aufschrift „UN“ an allen Seiten - scheinbar aus einer anderen Welt - rollen in Chatila ein. Hoher Besuch in dem Palästinenserlager am Rande Westbeiruts. Der Generaldirektor des UN-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA, Hauptsitz Genf), Giorgio Giacomelli, will sich an Ort und Stelle ein Bild von der betrüblichen Lage der beiden Westbeiruter Camps machen, die zum vierten Mal seit 1982 wieder aufgebaut werden.

Derzeit versorgt die UNRWA täglich 159 Familien - pro Familie werden fünf Köpfe gerechnet - mit Soforthilfe, Grundnahrungspaketen und Reinigungsmitteln. Hilfsberechtigt sind Familien, die im Camp „leben“, das heißt dort die Nacht verbringen. Fast alle Wohngebäude sind während des „neuen Lagerkriegs“ - den „palästinensisch-palästinensischen“ Gefechten zwischen Arafat-Gefolgschaft und den Anhängern des Abu Moussa, - der Anfang Juli mit der Evakuierung der Arafat -Leute zu Ende gingen, zerstört oder schwerbeschädigt worden. Es ist kaum vorstellbar, daß 159 Familien in diesen Trümmern leben. Ein Mann, der im „Popular-Komitee“, dem Selbstverwaltungsgremium des Camps, arbeitet, erzählt mir, daß fast alle, die man tagsüber geschäftig im Trümmerfeld antrifft, das Camp zur Nacht verlassen. „Aber sie kommen nach und nach zurück, bleibt ihnen eine andere Wahl?“

Der UNRWA-Chef bestaunt den ersten wiedereröffneten Laden in Chatila, bestehend aus einem Fleischerhaken samt Lammkeule, einem großen Messer, einer Waage und drei Männern, die Tee trinkend in der Morgensonne sitzen. Im UNRWA-Büro ist das Fenster neu vergittert, der Putz noch feucht. Die UNRWA hat in den vergangenen vier Wochen allein 140.000 Dollar für Aufräumungsarbeiten in Chatila gezahlt. Aus den Hauptgassen des Camps wurde der Schutt geräumt, einsturzgefährdete Gebäude mußten abgesichert werden. Die Männer des Camps, die für die Arbeiten bei der UNRWA unter Vertrag stehen, arbeiten mit Atemschutz in den Trümmern, reparieren Wasser- und Abwasserleitungen. Es gibt weder Trinkwasser noch Strom in Chatila.

Im Eiltempo geht es über Schuttberge und Abfallhalden. Verwundert verharren die BewohnerInnen Chatilas im Schatten der Ruinen, bestaunen die schnieke Besuchergruppe, bis sie realisiert haben, was der Anlaß des ungewöhnlichen Treibens ist. An der Moschee macht der Besucherzug halt. Seit es keinen Friedhof mehr gibt, wurden Hunderte von Toten der vergangenen Schlachten in vielen Lagen übereinander in der Moschee begraben. Die Wände sind dicht behängt mit Erinnerungsfotos der Märtyrer. Die eindringliche Kulisse wird Schauplatz einer bewegten Szene: Ein paar Frauen wollen mit Giacomelli sprechen. Sie haben gelernt, wie sie sich bei einem solchen Auftritt verhalten müssen. Sie haben gelernt, fotogen zu klagen, gefühlsecht zu schluchzen. Eine Szene, der nur schwer zu entkommen ist. Doch Generaldirektoren sind nicht für solche Szenen da.

Die Ruine der UNRWA-Schule am östlichen Rand des Camps muß noch besichtigt werden. Die Leute Abu Moussas räumen den Schutt aus dem mehrstöckigen, von Einschüssen durchlöcherten Gebäude. Der jetzt 15jährige Omar, ein Kind aus Chatila, in dessen Gesicht bei genauem Hinsehen die blutige Geschichte des Camps zu entdecken ist, hat sich vom glühenden Arafat -Verehrer zum „Vormann“ einer Judendtruppe Abu Moussas entwickelt. „Man muß ja leben“, sagt er. Omar hat an allen Fronten der letzten Jahre gekämpft. „Do you speak English?“ fragt er unvermittelt, als einer der UN-Offiziellen neben ihm steht. Doch es bleibt keine Zeit zum genauen Hinsehen. Generaldirektoren sind nicht zum Anfassen.

Der Besuch der UNRWA-Delegation in Chatila hat immerhin zehn Minuten gedauert. Am Checkpoint versichert der Generaldirektor, die UNRWA hoffe, daß jetzt endlich eine Zeit des Friedens gekommen sei. Denn man wolle ja nichts anderes, als diesen Ort wieder aufzubauen, der soviel Leid erlebt habe. Abu Firas, der Mann Abu Moussas in Chatila, versichert zum Abschluß neben besten Wünschen die guten Absichten seiner Organisation. Er muß sich beeilen. Generaldirektoren schwitzen ungern.

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